Alles fliest 13x13

Raumbeispiele hier !

 

Auf der Spur der Fliesen nach und in Nordfriesland als Form der seriellen Kunst

 

Andreas Petzold

 

 

Fliesen (fliisen; Blankstian; niederländisch:tegels) zieren heute 2022 noch die Wände vieler alter und auch neuer Friesenhäuser. Etwa im 18. Jahrhundert werden die Fliesen, die lange fälschlicherweise „Delfter Kacheln“ bezeichnet wurden, nach Nordfriesland eingeführt. Es waren Fayencen-Platten aus den Niederlanden in einer Standardgröße von fünf Zoll oder 13x13 cm. Der Begriff Kachel definiert eigentlich Keramikplatten für den Kachelofen.

 

Die Anfänge der Fliese liegen im mesopotamischen Zweistromland und verbreiteten sich über Spanien und der italienischen Stadt Faenza, die zur Namensgeberin Fayence wurde, auch über den Rhein als Transportweg bis zur Nordsee. Es ist eine Geschichte zwischen Repräsentation und Funktion. Die technische Geschichte der Fliese beginnt ursprünglich mit Ziegeln. Luftgetrocknet oder gebrannt dienten sie im alten Ägypten um etwa 2000 vor Christus schon als einfacher Fußboden. Zwischen Mesopotamien, Persien und Indien wurden sie später glasiert als Wanddekoration genutzt. Um 1510 begannen italienische Fayencenmacher in Antwerpen mit der Fliesenherstellung, die sich dann über Rotterdam, Utrecht, Amsterdam und auch Delft ausweitete.

 

Wenn im Herbst die Saison auf den niederländischen Handels – und Walfangschiffen zu Ende ging, nutzten die Föhrer Kapitäne und Kommandeure die Gelegenheit Fliesen für die Dekoration und Repräsentanz ihre Häuser mitzunehmen. Manchen Fliesenmacher konzentrierten sich deshalb auch auf Schiffsmotive und fertigten auch sogenannte Schiffstableaus aus mehrere Fliesen, die ein ganzes Schiff darstellte. Aber auch thematische Reihungen sind Bestandteil der dekorativen Wandgestaltung. Die Fliesen wurden auch als Ballast zur Stabilisierung der Schiffe genutzt und kamen somit über den Seeweg nach Nordfriesland und auf die nordfriesischen Inseln.

Die Fliesen schmückten als Kunstwerke nicht nur den Alterssitz des Seemanns, sie dienten auch der Dekoration in den Friesenhäusern, ohne die Wandflächen immer wieder neu verkalken (rußige Kamine) zu müssen. Thematisch orientierte man sich an Blumen (niederländisch: Blompotjes), Tiermalereien, Historien (Biblische Szenen/Bibelfliesen), Windmühlen und wie schon erwähnt, Schiffen und maritimen Motiven. Die Glasur der Fliesen hatte zweierlei Aufgabe: ersten verhinderten sie das Eindringen von Feuchtigkeit in den schlecht beheizbaren Räumen mit dünnen Wänden und sie  reflektierten zweitens die Wärme in der guten Stube.

 

Ob Fliese oder Platte, eine Kachel ist eine Fliese auf gar keinen Fall, heißt es unter Fachleuten Während der Begriff Kachel vom Althochdeutschen „chachala“, irdener Topf, stammt, kommt die Fliese aus dem Niederdeutschen „vlise“, kleine dünne Steinplatte. „Kacheln und Fliesen gehören zwar beide zur Produktion von Fayencefabriken, aber der Begriff Kachel sollte nur in Verbindung mit dem Kachelofen gebraucht werden. Und die Fliese, die bis vor einigen Jahren noch mit Mörtel an die Wand gesetzt wurde, wird heute überwiegend geklebt. Die Kachel wurde gemauert, aber was nicht alles gekachelt wird, das ist so Unsinn“.

 

Heute begleitet uns dieses in der Regel 15x15 Zentimeter große Quadrat zwischen Küche, Flur und Badezimmer. Ihr Weg bis auf unser stilles Örtchen aber war lang und von historischem Auf und Ab gezeichnet. Der fliesentechnische Werdegang war eine kulturelle und historische Evolution, von seinen Anfängen im Zweistromtal bis über unser Waschbecken und in die gute Stube Frieslands. Zuerst begannen die holländischen Produzenten ihre Fliesen mit typisch regionalen oft ländlich-bäuerlichen Szenen zu bebildern. Die in Delft produzierten blau-weißen Keramiken wurden zu einem holländischen Nationalprodukt, das „Delfter Blau“ weltbekannt. Da es ein ungeschützter Markenname blieb, fluteten imitierte Delfter Fliesen halb Europa.


 

Der Wandel zur Wand von der Boden- zur Wandfliese, begann aber wohl zuerst durch den Kamin. Denn diesen flieste man vor allem zur Wärmedämmung und zur Bannung von Brandgefahr. Als Scheuerleiste wurde die Fliese zuerst als einfacher Wandschutz im der Wohnstube genutzt und „wanderte“ schließlich von da aus , je nach Status und Geld – durchs ganze Friesenhaus und entwickelte sich  als Schauobjekt- und Repräsentationsobjekt der kommenden Generationen.

 

Es war der kunsttheoretische Text „Der Ritus der Wiederholung“ - zur Logik der Serie in der Kunst der Moderne von Hans Zitko, der die Diskussion und den Impuls ausgelöst haben, mich umgebende Fliesen unter dem Aspekt der seriellen künstlerische Betrachtung einzuordnen. In einem ersten Verfahren wurden Fliesen in unserem Schlafzimmer fotografiert und nach vier Sujets katalogisiert. Schiffe, Soldaten (differenziert nach Reitern und sogenanntem Fußvolk), Blumen (florale Dekoration) und Alltagszenen.

 

Ich folgte dabei der Idee von Zitko >Der Ritus der Wiederholung<, um nach signifikanten Beispielen für den Einsatz serieller Motive zu suchen. „Reihenbildung leisten eine spezifische Strukturierung von Raum und Zeit: durch die stetige Wiederkehr des Gleichen wird der ungestaltete Raum einer Ordnung des Maßes unterworfen, die zugleich die Art seiner zeitlichen Erschließung durch die Wahrnehmung regelt“

 

Im weiteren Text stellt er Bezüge zu Andy Warhol her. „Hier verbindet sich die Logik der Serialität mit den Prozesse der modernen medialen Reproduktion.“ Weiter heißt es im Text: „ Mit der flächenfüllenden Wiederholung eines Motivs – sei es eine Dollarnote, eines Starportraits oder auch einer Suppendose – wird jene  exzessive Multiplikation von Zeichen, Bildern und Waren ins Bewußtsein gerückt, wie sie in den gegenwärtigen Industrie- und Informationsgesellschaften zu beobachten ist!“

Ergänzende Textrecherche u.a. bei Ernst H. Gombrichs >Das forschende Auge<, ergaben weitergehende inhaltliche Verortungen, dass meine ersten Versuche der seriellen Reproduktion von grafisch und malerisch transformierten Fliesen einen Interpretationsrahmen bekamen.

 

Serielle Kunst wird in der kunstwissenschaftlichen Literatur als Teil der zeitgenössischen Kunst betrachtet und beschreibt konkret mehrere Bildwerke, die als verwandte Gruppe präsentiert werden. Eine Serie von Gemälden oder dreidimensionalen Skulpturen kann als serielle Kunst klassifiziert werden, wie ein gemeinsames Thema oder eine gemeinsame Technik. Dabei wird immer wieder vergleichend vom >Monet-Effekt< gesprochen. Claude Monets Gemäldegruppen der „Heuhaufen“ und der „Ansichten der Kathedrale von Rouen“ werden kunsthistorisch als Beginn der Phase des seriellen Arbeitens im Bereich der bildenden Kunst angenommen. Serielle Gemälde- oder Grafikreihen werden seitdem als ein ästhetisches Phänomen eingeordnet, bei dem das einzelne Bild seine Wirkung und seinen Sinn erst im übergeordneten Gestaltungskonzept der Gruppe oder Serie entfaltet. Siehe hierzu Fliesen-Tableaus.

 

Serien sind dabei eine Ganzheit aus Teilen. Sie bestimmen dabei Konstanten eines Systems von Wiederholung und Variation, das offen oder geschlossen, begrenzt oder unbegrenzt angelegt sein kann, so die gängigen Definitionen. In der folgenden Einordnung versuche ich Bezug auf Umberto Eco zu nehmen. Er entwickelt in seinem Essay „Die Poetik des offenen Kunstwerks“ ein theoretisches Konstrukt, das das Kunstwerke neu kategorisiert und gleichzeitig eine neue Art der Kunstinterpretation ermöglicht. Grundlage für seine Theorie ist die Definition vom Kunstwerk, „die es grundsätzlich als eine „mehrdeutige Botschaft versteht,

als Mehrheit von Signifikaten (= Bedeutungen), die in einem einzelnen Signifikanten (=
Bedeutungsträger) enthalten sind“.

 

Eco geht dabei von einer Mehrdeutigkeit aller Kunstwerke aus, die er als Offenheit beschreibt. Er weist darüber hinaus dem Zuschauer mehrere Offenheitsebene zu. „Eine begrenzte Offenheit“, die dem Betrachter den letzten und endgültigen Sinn vorgebe. Die zweite Art von Offenheit „lasse dem Betrachter Freiraum in seiner Interpretation, nur eingeschränkt durch die Strukturen im Werk selbst.“

 

Fünf Zoll oder 13x13 versucht der Spur der Fliesen nach und in Nordfriesland als Form der seriellen Kunst mit einem gemeinsamen Thema und Technik zu folgen.

 

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