"Der blaue Stuhl"

Sitzgelegenheiten aller Art haben bildende Künstler in den letzten Jahrhunderten immer wieder fasziniert. Angefangen hat man mit Skulpturen und Plastiken von Göttern Pharaonen und Kaisern sowie Königen, die man auf dem Thron darstellte. Ziel war es, seinen ›Besitzer‹, egal ob es ein prunkvoll ausladender auffallender Lehnstuhl oder ein gemütlicher Ohrensessel war, in seinem Ansehen und seiner Reputation zu höhen. Ob Thron, Bischofssitz oder Richterstuhl – lange Zeit galt deshalb: Wer auf einem Stuhl sitzt, genießt stets die Würde eines hohen Amtes. Die ältesten bekannten Stühle waren sehr niedrig, hatten gebogene Rückenlehnen und häufig Beine in geschnitzter Tiergestalt. Die Herrschenden thronten im wörtlichen Sinn über den einfachen Leuten, die oftmals nur auf dem Boden kauerten.

 

Nur aus Bequemlichkeit saß zunächst niemand auf einem Stuhl, die Menschen lagen wie die Römer lieber zwanglos herum. In Europa blieb ein Stuhl oder Sessel jahrhundertelang ein exklusives Möbelstück, das sich nur Menschen aus dem Stand des Adels oder des Klerus leisten konnten. Erst im 16. Jahrhundert setzte sich der Stuhl in weiten Kreisen der Bevölkerung durch und gehörte dann zum gängigen Mobiliar.

 

Es handelte sich dabei zwar um einfache Sitzgelegenheiten, die alltäglich, abgenutzt und beschädigt waren. Viele Kunstwerke jener Zeit, auf denen der Stuhl ein hervorstechendes Motiv ist, sagten etwas über die soziale Stellung, das Lebensgefühl oder die Haltung des Benutzers aus.  Später in der Neuzeit erhielt der Stuhl in Gemälden und später auch in Fotografien die Bedeutung für eine abwesende Person, der leere Stuhl von jemand Bedeutendem. Der umgeworfene Stuhl verwies dabei auch auf Konfliktsituationen („Jemandem den Stuhl vor die Tür stellen!), der idyllische Gartenstuhl mit Blumen dekoriert, wirkt ähnlich einem Lehnstuhl, auf dem eine schlafende Katze liegt, für Heimat, Geborgenheit, Ruhe und Ausgeglichenheit.

 

Der Stuhl ist also aufgeladen, bewertet, besetzt und wird in Zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen gebracht. Die Idee „Der blaue Stuhl“ soll hier im Sinne künstlerischen Handelns und Erlebens anknüpfen und seine  Einwohner und  Besucher in ein kreatives Spiel verwickeln und den Stuhl in immer wieder neuen Blickwinkeln wahrnehmen. Ohne allerdings darauf zu verzichten, dass sein ursprünglicher Funktionszweck das Sitzen ist. Und da kann es natürlich passieren, dass plötzlich jemand auf dem blauen Stuhl sitzt, den man vor sein Haus, seine Garage oder seinen Vorgarten gestellt hat. Und auch das kann ja schon Kunst  sein, oder?  Ich freue mich jedenfalls auf die Aktionen und Reaktionen 2024.

 

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© Andreas Petzold #KUNSTEINS 2023