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TEXTE, THESEN UND ÜBERLEGUNGEN

 

 

 

 

Kann Kunst in Krisen (Corona/Krieg/Umwelt- und Klimakrise etc.) Wege aufzeigen ?

  

                                                                                                                          Sommer 2022

 

Nach über zwanzig Jahren tauchen jetzt für mich bei der Betrachtung zu dieses Themas auch wieder Bezüge zu den Futuristen auf. Im Kunstforum international, Band 267, Mai 2020 – UTOPIA-post-futuristisch, geht Ann-Katrin Günzel in ihrem Essay „Mit Höchstgeschwindigkeit in die Zukunft“ gleich anfangs auf die Futuristen und Filippo Tommaso Marinetti (1876 – 1944) ein. Noch einmal kann ich deshalb die Ideen der Futuristen vor meinem geistigen Auge präzisieren. Das Zeitfenster der Orientierung ist hier konkret das Ende des ersten Weltkrieges. Mit seiner Wucht und Brutalität war es ein Epochenereignis für Millionen von Menschen, auf das auch die Kunst reagierte. Mit Dada und Futurismus wurden die Protagonisten geboren und immer deutlicher in der Öffentlichkeit sichtbar.

 

Die futuristischen Manifeste sind wie ein künstlerischer Luftangriff auf die Bastionen der traditionellen Kultur, so Günzel, bei denen alle Register gezogen werden. Sämtliche Genres der künstlerisch-theatralischen Darstellung werden durchmischt und schamlos inszeniert: die Beleidigungsrede, die neue Lyrik, die dynamische Malerei von Umberto Boccioni, Carlo Carrà u.a., theatralische Performances, Ohrfeigenattacken und Prügeleien sind künstlerisches Tagesgeschäft. Das Publikum jener Zeit positionierte sich zwischen aktiver Teilnahme, Amüsement und gleichzeitigem Entsetzen. Kunst muss verblüffen, aufrütteln und irritieren war schon in den 1990er Jahre mein Credo. Vor allem die Geräuschmaschinen, die Luigi Russolo entwickelt hat, um den Lärm der technisierten Welt und der Großstadt zu simulieren, sorgten für Spott und Aufruhr und haben mich inspiriert. Später kamen die Kunstmaschinen von Jean Tinguely und die Musikmaschine von Joe Johns hinzu, der von 1990 bis 1993 in Wiesbaden, der „heimlichen Fluxushauptstadt“ lebte.

 

Ich erinnere mich noch Mitte 1990 an die Inszenierung im Wiesbadener Pariser Hoftheater, wo wir „Schauspieler“ als „durchgeknallte Futuristen“ Radiospeisen mit lauten verzerrten Kurwellengeräuschen servierten und künstlichen Nebel erzeugten, um dem Publikum den neuen Genuss der Zukunft zu präsentieren. Alle meine parallel laufenden Eat-Art-Aktionen und Genusshappenings hatten dabei einen futuristisch, dadaistisch-experimentelle Ansatz, der damals stark durch Daniel Spoerri und Dieter Roth geprägt war, allerdings erst später durch meine kunsthistorischen und kunsttheoretischen Studien und Kenntnisse sichtbar gemacht wurden. Siehe hierzu: https://www.kunsteins.de/mediathek/don-t-eat-art/

 

„Wir wollen in die Musik alle neuen Haltungen der Natur hineintragen. Der Masse, den große Industriebetrieben, Zügen, Ozeandampfern, Panzerkreuzern, Automobilen und Flugzeugen die musikalische Seele geben ...“    ...so heißt es im Manifest der futuristischen Musiker von 1910. Das futuristische Manifest von 1909 propagiert die Gefahr, die Energie, die Waghalsigkeit, den Kampf, den neuen Menschen, die technische Welt der Zukunft. So entwirft der Futurismus die Moderne und wird theoretisch zum Taufpaten der künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts.

Der Futurismus gründete sich auf der Grundlage eines ungezügelten Fortschrittsoptimismus, der sich in der Verherrlichung von Geschwindigkeit, Simultanität, Dynamik und Gewalt äußert und neben der Rekonstruktion des gesamten Universums die Kreation eines neuen Menschen als eine Mensch-Maschine zum Ziel hatte“ (Manifest 11.03.1915).

 

Neben den Ideen der Futuristen faszinierten mich insbesondere während des Studiums die Arbeiten von Micheal Heizer, Walter de Maria (Lightning Field), Robert Smithon (Spiral Hill) und letztendlich Richard Long und Andy Goldworthy. Alles Künstler, die unter dem Begriff Land Art (Erdkunst) oder Nature Art (Natur Kunst) eine Allianz bildeten, deren Ursprünge kunsthistorisch in enger Verbindung zur Pop Art standen und sich „gegen die kommerzielle und wirtschaftliche Ausbeutung der Kunst“ wendeten und die Natur in den Fokus ihrer Arbeit stellten. Es stecke damals schon die utopische Hoffnung dahinter, die Natur wahrhaft menschlicher und den Menschen wahrhaft natürlicher werden zu lassen.

 

In der Zwischenzeit sind wir neben einer Pandemie nun dort angekommen, was Marinetti als >Utopie des unbegrenzten Wachstums< bezeichnet hat. „Der Fortschritt hat eine dermaßen rasante Dynamik angenommen, dass er geradezu aus der Bahn geschleudert wurde und zu einer Klimakatastrophe beigetragen hat, die eine post-futuristische Generation junger Menschen wie „Fridays for Future“ auf die Straßen bringt, welche um ihre und die Zukunft der Menschheit generell bangt!“ (Ann-Kathrin Günzel a.a.O.)

 

Präziser kann man die Situation nicht beschreiben, wie es auch aktuell der französische Soziologe Bruno Latour macht. Im Vorwort des ersten Vortrages seines Buches >Kampf um Gaia< schreibt er: „es hört nicht mehr auf, jeden Tag geht es von vorne los. An einem Tag ist es der Anstieg der Gewässer; am nächsten das Unfruchtbar werden der Böden; abends geht es um das beschleunigte Verschwinden des Packeises; in den Fernsehnachrichten erfahren wir zwischen zwei Kriegsverbrechen, dass Tausende von Arten verschwinden, noch bevor sie ordnungsgemäß registriert werden konnten: jeden Monat liegen die CO2-Werte in der Atmosphäre noch höher als die Arbeitslosenzahlen; jedes Jahr erfahren wir, dass es das wärmste seit dem Beginn regelmäßiger Messungen ist; der Meeresspiegel steigt unaufhörlich; die Frühjahrsstürme bedrohen die Küstenregionen immer stärker; der Ozean erweist sich bei jeder Untersuchung als saurer!“  Eine Idee ist das Zurückbesinnung auf das Wesentliche. Aber was ist das Wesentliche, das Essenzielle im Leben der Menschen? Hat der 1995 von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt konzipierte Werbespruch für eine Sparkasse „Mein Haus, mein Boot, mein Auto“ ausgedient oder kommt jetzt noch „Mein Impfpass, meine Kreuzfahrt und meine Fernreise“ als Sinnbild völlig freien genuss- und konsumorientierten Lebens hinzu?

 

Es ist, wie ich es immer wieder im Weltnaturerbe Wattenmeer erkenne und wahrnehme, letztendlich der simple körperliche Akt, sich einfach hinunter zur Erde zu bücken, sie zu untersuchen, zu bearbeiten, zu pflegen und wertzuschätzen und sie als Ort der Besinnung anzuerkennen. Sie aber nicht untertan werden zu lassen.

 

Bruno Latour und Peter Weibel animieren mit der Ausstellung >Critical Zones - Horizonte einer neuen Erdpolitik< im ZKM in Karlsruhe „…den Blick des Besuchers zurück auf die Erde zu lenken“ und nicht Utopia als den besseren Ort anzusehen, der “anderswo“ oder „woanders als hier“ zu finden ist. Mit >Critical Zones< demonstrieren sie uns, dass die Erde der einzige Ort ist, der uns Leben ermöglicht und uns zeigt, dass wir ein „komplexes und dynamisches Geflecht von Ursachen und Wirkungen“ mit ihr zusammen darstellen und genau das als Leben begreifen müssen. Wenn wir genau hinschauen und die Signale des Anthropozäns erkennen.

 

Seit vielen Jahrhunderten wurde das allerdings von der Kirche anders gesehen und kritiklos verkündet: "Macht euch die Erde untertan" (Genesis 1,28). Die Einheitsübersetzung der Bibel von 2016 schreibt noch: "Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen." Exegeten und Experten für die Sprachen der Bibel schreiben allerdings darüber, dass die Originalbegriffe eine fürsorgliche und verantwortungsvolle Bedeutung hätten. Die geht in der Übersetzung verloren, in der von Unterwerfung und Herrschaft die Rede ist. Vielleicht sollten wir ein Manifest an die Kirche richten, in dem es heißt : Macht euch die Erde nicht untertan – sondern kümmert euch um sie!

Im nichtreligiösen Sprachgebrauch wird ergänzend immer von „Down to Earth“ oder „Back to the Roots“ gesprochen und gerne mit Neuorientierung, Rückbesinnung zum Wesentlichen zu kommen und zu den Anfängen zurückzukehren, verglichen. "Down to Earth" meint im Englischen schließlich so viel wie sachlich, unprätentiös, bodenständig. Da muss die Kunst sicherlich auch konkrete Selbstreflexion betreiben und ihren Präsentationsaufwand in klimatisierten Großausstellungshallen und Depotverwaltungen überprüfen. Denn während Kunst den Wert der Natur und die verheerenden Folgen des Klimawandels bereits seit Jahrzehnten behandelt, bleibt der Kunstbetrieb und Markt weiterhin außen vor! Oder?

 

In der Raumfahrt spricht man übrigens von einem  Overview-Effekt, dem Betrachter der Erde aus dem All ausgesetzt sind. Er verstärkt, so zumindest aus der Sicht der Astronauten, den Verantwortungseffekt für die Erde, weil aus der Distanz menschlich definierte Grenzen verschwinden, politische und gesellschaftliche Strukturen sich auflösen und dadurch nur die Erde sichtbar machen. Der Overview-Effekt verhindert, sich ausschließlich egoistisch mit sich selbst zu beschäftigen und hilft dabei, sich als Teil eines größeren Systems zu erkennen. Der Blick aus dem All erzeuge Mitleid mit dem Planeten, ein profundes Verständnis der großen Zusammenhänge des Lebens sowie das Gefühl der Verantwortung für die irdische Umwelt und das Aktivieren des Verständnisses für Mitmenschlichkeit und Solidarität. So die Aussage verschiedener Astronauten.  Diese Tugenden benötigen wir dringender denn je. Insbesondere, wenn wir mit Großraumflugzeugen zu Fernreisen in den Urlaub aufbrechen und über Länder mit zerstörten Landschaften und ausgebeuteten Menschen fliegen!

 

Corona und der Krieg in der Ukraine zwingt uns seit etwa 1 ½ Jahren mit ähnlicher Wucht eine neue Perspektive auf unsere Welt auf. Corona hat den Overview-Effekt im planetarischen Maßstab demokratisiert. Wir könnten also mit der neu gewonnene ganzheitliche Perspektive auch den Weg aus der Krise aufzeigen und notwendigen Treibstoff für soziale Transformationen und progressive Veränderungen liefern. Corona wäre dann im Idealfall eine Art philosophischer Katalysator, der Krieg ein menschlicher Offenbarungseid.

 

In dieser Variante würde der Overview-Effekt helfen, Denk- und Handlungsblockaden aufzulösen, die uns viel zu lange gelähmt haben. In kürzester Zeit werden gegenwärtig Einsichten gewonnen, für die sonst lange Zeiträume notwendig waren. Der Overview-Effekt ist Teil meiner Arbeit im Weltnaturerbe Wattenmeer in einem direkten Vergleich mit Fotos vom Mars. Menschen schauen  immer gern zum Mond oder auf den Mars, um in eine andere Welt nach Woandershin, nach >Nowhere< (Weibel) zu fliehen.

 

Corona kann als Überholspur im Alltagslabor der Menschheit verstanden werden, auf der unser Denken beschleunigt werden könnte. Dieser Imperativ kann uns helfen, die Haltung zu überwinden, mit der wir lange Zeit den Ausverkauf der Erde - das „Monster des Bodenlosen“ - heranzüchteten, welches uns nun plötzlich alle erschreckt. Wir alle sind von seinen Drohgebärden – soziale Desintegration, planetarische Zerstörung, globale Ungleichheiten und individuelle Erschöpfung – eingeschüchtert. Der Ukrainekrieg ist jetzt nur noch das I-Tüpfelchen der Entwicklung und entblößt uns selbst.

Es besteht deshalb gerade jetzt die Chance mittels der Kunst, utopisches Denken neu zu entdecken und zu entwickeln sowie die Routinen statischer Denkmuster zu verlassen. Das hilft Langfristorientierung anzuschieben, Verlustängste und liebgewonnene Gewohnheiten in Frage zu stellen und das Einrichten von Komfortzonen zu überprüfen. Ein „weiter so“ kann es aus der Erkenntnislage – auch in der Kunst – nicht geben!  Bleiben wir, wie es Donna J. Haraway in ihrem Buch >Staying with the Trouble< beschreibt, unruhig. „Denn es ist unsere Aufgabe, Unruhe zu stiften, zu wirkungsvollen Reaktionen auf zerstörerische Ereignisse  aufzurütteln, aber auch die aufgewühlten Gewässer zu beruhigen“, um kommenden Generationen Zukunft zu ermöglichen. Dazu müssen wir, wie es die Futuristen und Dadaisten vorgemacht haben, auch heute alle Register ziehen.

 

Ich beende mein Manifest gegen Utopiemüdigkeit mit einem Zitat des angolanischen Künstlers Kiluanji Kia Henda:

 „In einer Zeit, in der Immoralität und Straflosigkeit Teil der Regeln eines Spiels sind, das für die Gesellschaft höchst verhängnisvoll sein kann, ist es dringend notwendig, dass wir durch die Kunst  ein verlorenes Zartgefühl zurückfordern: die gegenseitige Freundlichkeit!“ …“ Lassen wir die Kunst das Mittel sein, durch das wir nicht nur unser Wissen, sondern auch unsere Zuneigung teilen können. Und schließlich, lassen wir die Kunst den Entwurf unseres Lebens sein, in dem wir Risiken eingehen und scheitern dürfen, um so Vorurteile zu bekämpfen und Distanz zu verkürzen, ohne dass wir den Menschen mehr Schmerzen zufügen müssen!

 

Alle meine Projekte von Altonale 21 bis Wasser Marsch sind Beiträge zur Stärkung der Freiheit des Denkens und Handelns durch Kunst und deren partizipativen Charakter. Vielleicht ist das der Weg?

 

Zeit & Ort - Kunst in dystopischen Zeiten

„Essen ist alles, aber nicht alles ist immer Essen.“

 

Dennoch: „Auf in den Norden – das Meer, das Land (Ort) und der Geschmack rufen!“

 

Gedankensplitter für den 13.07.2021 als kreative Fragestellungen zu Kunst & Ökologie im Weltnaturerbe Wattenmeer.

Ich hätte 2016 und 2017 bei meinen Spiegelinstallationen im nordfriesischen Wattenmeer, die damals viele Fragen zum Thema Kunst im öffentlichen Raum aufgeworfen haben und einen Diskurs mit Gästen, Touristen und Einheimischen aktivierte, nie gedacht, dass wir uns 2020/21 so unvermittelt in einer Entschleunigungsphase wiederfinden würden und unsere wachstumsorientierte und auf Schnelllebigkeit ausgerichtete Leistungsgesellschaft ausgebremst wird. Das zeigte sich in einem Lockdown mit starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Meine Hoffnung war das Setzen auf Erkenntnisgewinn und Verhaltensänderung. Eine Utopie?

 

Der Erschöpfungszustand der Welt und ihrer Bewohner wurde im letzten Jahr plötzlich sichtbar und eröffnete Möglichkeiten der breiten kritischen Reflexion – und hier meine ich konkret Möglichkeiten der kritischen Reflexion bezogen auf den Ort, an dem der Mensch lebt und kulturell handelt.  Ich lebe seit Anfang 2019 auf der Insel Föhr. Sie ist Teil des Weltnaturerbes Wattenmeer, das sich entlang der Nordseeküste von den Niederlanden über Deutschland bis Dänemark erstreckt. 2009 wurde das deutsch-niederländische Wattenmeer in die UNESCO-Welterbe-Liste aufgenommen. 

 

Ein Ort, der geeigneter für Projekte und Konzepte nicht sein könnte, um Fragen des Sehens, des Wahrnehmens und des Schmeckens als Teil künstlerischer Arbeit und Prozesse zu stellen. Heute, am 01.06.2021, als ich den Text schreibe, machen viele Restaurants in Deutschland unter Einhaltung der A-H-A Regeln nach fast einem Dreivierteljahr wieder auf. Die Frage, ob sich eine Entschleunigung auf der Speisekarte und in der Küche zwischenzeitlich ergeben hat, läßt sich aktuell noch nicht sagen. Ich habe da meine Zweifel und werde weiterhin meine Fühler als kritischer Beobachter ausstrecken.

 

Durch das komplette Schließen aller gastronomischen Dienstleistungsangebote konzentrierten sich parallel meine Betrachtungen wieder deutlicher auf die eigene Nahrungsmittelproduktion und deren praktische Transformation in das Essbare.  Es folgte daraus die Erweiterung des eigenen Kräutergartens, verstärkter Kontakt mit regionalen Produzenten, deutlichere Fokussierung auf die Saison, die Region und natürlich auf das Meer. Hier konkreter formuliert, die Nordsee.

Olafur Eliasson, dänisch-isländischer Künstler, schrieb in seinem Buch >The Kitchen< :  „Wenn wir kochen, nutzen wir die Welt und produzieren sie gleichzeitig. Beim Essen nehmen wir die Welt auf und bringen Licht in unseren Körper.“  Er stellt dabei den Menschen in Verbindung mit der Nahrung und dem Sonnenlicht als Teil des Energiekreislaufes dar, als „Ökologie des Gebens, Nehmens und des Teilens“. Es betrachtet Nahrung durch verschiedene Linsen, von mikroskopisch klein bis makroskopisch groß. Einer der Koch-Künstler, die dieser Frage schließlich ebenfalls wie ein Wissenschaftler nachgeht, ist der dänische Koch René Redzepi.  Sein Dogma: Regionales Essen in höchster Perfektion.

 

Das Vorwort zu seinem Kochbuch >NOMA-Zeit und Ort in der nordischen Küche< schrieb Olafur Eliasson. „Wir halten beim Essen nicht die Welt an; wir gehen vielmehr noch ein Stück auf sie ein!“  Hier sind bereits Parallelen zu Daniel Spoerri´s Eat-Art-Konzepten zu finden. Spoerri hat nicht als erster Künstler Lebensmittelverwendet und auch nicht als erster Lebensmittel in den Kunstkontext gebracht. Schon der Futurist Filippo Tomaso Marinetti verfasste Abhandlungen über das Essen mit Rezepten. Piero Manzoni, Joseph Beuys, Allan Kaprow, Dieter Roth und Fluxuskünstler und waren ebenfalls Zeitgenossen, die mit Lebensmitteln arbeiteten. Spoerri aber hat das Essen und das Kochen in all ihrer Komplexität als existentielle Vorgänge wie auch als kulturelle Ereignisse eingesetzt. Deshalb verknüpfe ich hier die Ideen von Redzepi und Spoerri.

 

Eliasson ging vorher schon von einem erweiterten Ansatz aus und inszenierte 2007 mit >Life in Space< einen Experimental-Workshop, dessen Thema Raum und Bewegung als Prozess war.  Dabei setzte sich verstärkt die Erkenntnis durch, dass dies nur möglich sei, „wenn der Mensch seine Ideen, seine Arbeit, den Raum und die Erde als ein einziges integrierendes System gesehen werden muss, in dem ästhetische, gesellschaftspolitische und politische Werte sich gegenseitig bedingen und als isoliertes Phänomen zu betrachten ist“.

Leander Scholz (deutscher Philosoph und Schriftsteller) ergänzt in seiner Analyse zu Latours >Kampf um Gaya<, dass „an die Stelle des Begriffspaars von Natur und Kultur eine Sicht treten muss, die es uns erlaubt, das Zusammenspiel der zahllosen Dinge und Lebewesen, der menschlichen und der nicht-menschlichen Akteure jenseits der Unterscheidung von Natur und Kultur zu beschreiben. Sie alle bilden ein kompliziertes Netzwerk, in dem jeder jeden beeinflusst. Geeint sind sie allein durch ihren gemeinsamen Lebensraum, dem sie ihre Existenz verdanken und den sie sich bis auf Weiteres teilen müssen“.

In einer Welt, die uns ständig mit trivialisierten Sinneswahrnehmungen konfrontiert, ist die banale Kommerzialisierung und Konditionierung Ziel der menschlichen Verhaltens. Und das gilt es aufzuhalten, zu durchbrechen. in Frage zu stellen und die einzigartigen Erwartungen und Wahrnehmungen durch Auge, Hand, Zunge, Körper sowie Biografie, Sozialisierung und Erfahrung zu fördern.

 

„Die Kartoffel läßt sich nicht getrennt von der Erde sehen, wo sie aufwächst!“, so Eliasson. Das Wissen, woher Zutaten kommen und wie sie zu Nahrung transformiert werden, ist deshalb eine Art Geschmacksverstärker und impliziert Verantwortung, Nachhaltigkeit, Geografie (Terroir) und Kultur. Der Sylter Koch Johannes King, den ich vor einigen Jahren während einer Tagung der Jeunes Restaurateurs d´Europe kennerlernte und seine Küche sehr schätze, formuliert es in seinem Kochbuch >Land und Meer< auf andere Art und Weise; „Wenn Essen die genussvolle Begegnung mit einer Landschaft und ihren Eigenarten ist, dann beginnt man doch am sinnvollsten gleich mit der Landschaft, die vor der Haustür liegt!“

 

Also: „Auf in den Norden – das Meer, das Land (Ort) und der Geschmack rufen!“

Subversiv! Grotesk! Humorvoll! Provokant!“

 

Als Künstler setze ich seit fast 30 Jahren auf dadaistische Strategien des Miteinanders.

Fluxus eingeschlossen.

 

Andreas Petzold (PAN) 2019

 

„Pan war ein Halbgott des antiken Griechenlands, der gerne durch die hellenischen Wälder streifte und es vergnüglich fand, mit den Hirten gruseligen Schabernack zu treiben. Den armen Hirten blieb seinerseits nichts anderes übrig, als in „panischem“ Schrecken davonzulaufen. Der PAN, der in Wiesbaden sein Wesen treibt, verfolgt eine genau entgegengesetzte Absicht: er versucht, Menschen zusammenzubringen mit etwas, dem viele, wenn auch nicht mit Angst, so doch mit Mißtrauen oder zumindest Desinteresse begegnen: Kunst. Weiter heißt es a.a.O. ..“Mit den traditionellen Präsentationsformen von Kunst hat Petzold wenig Sinn: Kunst muss flexibel und mobil sein, und wenn der Betrachter nicht zur Kunst kommt, muss eben die Kunst zum Betrachter kommen – alles rollt und fließt..“ schrieb Jny. im Feuilleton des Wiesbadener Tagblattes am 07.September 1990.

 

Der Wiesbadener Kurier vom 08.03.1990 wertete/interpretierte damals meine jüngste Arbeit mit: “..Bei der Weiterentwicklung seiner „Mail-Art“ bleibt PAN dem Ursprungskonzept [das ich seit Mitte der 80er Jahre verfolge! Anm. d. Verf.] und der dabei verwendeten Technik treu: Als Malgrund dienen ihm überwiegend alte Ausstellungsplakate oder Zeitungen und Gebrauchstexte. Auf Flohmärkten stöbert er nach nicht mehr verwendbaren, stockfleckigen Büchern und amtlichen Verlautbarungen, die dann mit transparenten und doch farbintensiven Eiweißlasurfarben bearbeitet werden. …Mit seinen neuen Mailings versucht er, Alltagsmedien im Sinne dadaistischer Collagen zu verändern.“

 

2019 - 29 Jahre später - hat sich an meiner Arbeitsform vom methodischen Ablauf eigentlich nichts geändert. Die Themenvielfalt hat sich seither eher erweitert und konkretisiert. Spektakuläre Konzepte mit internationaler Würdigung wechselten sich mit z.B. Straßenkunstaktionen in Paris und vor der eigenen Haustür in Wiesbaden ab. Während ich handkolorierte Exemplare der damaligen sowjetischen Staatszeitungen „Prawda“ und “Iswestija“ mit einer Adaption von Eugen Delacroix´s Gemälde „Die Freiheit führt das Volk an“ als Mail-Art an die wichtigsten Präsidenten der Welt schickte, um den Demokratiebegriff neu zu diskutieren, entwickelte ich in Paris schon weitergehende Ideen, die Eat-Art zu verifizieren, die in späteren Aktionen und Konzepten zwischen Joseph Lafer (Le Val d´Or) und Daniel Spoerri im Museum Ludwig in den Mittelpunkt treten würden.

 

Auch vor Flugzeugen, Bussen oder Taxis, die zu Konzepträumen umfunktioniert wurden, habe ich genauso wenig zurückgeschreckt, wie vor Hotelzimmern und Restaurantküchen. Überall ging es öffentlichkeitswirksam darum, meine panische Standpunkte zu positionieren. („Pasta macht Petzold´s Pisa Projekt perfekt“/FR 22.04.92 – „Im Taxi Berührungsangst  vor der Kunst abbauen“ – FAZ 17.07.92) 1994 gelang es mir analog zum „Teufelhof“ in Basel, dem Hotel „New Siru“ in Brüssel und dem „Chealsea“ in New York, das Wiesbadener Hotel Nassauer Hof zu überzeugen und mit mir das „Wachsende Hotelzimmer“ zu realisieren. Ein sich langsam und behutsam entwickelndes Kunstexperiment unter Beteiligung von Hotelgästen, Hotelpersonal und Gästen aus den Restaurants „Orangerie“ und „Ente“.

 

Fast zur gleichen Zeit konfrontierte ich in einem Wiesbadener Friseursalon mit Hilfe des damaligen Landtagspräsidenten Karl Starzacher unzählige Kundinnen unter dem Titel „Schwarz-Rot-Gold“ mit dem Grundgesetz anstatt mit „Gala“ oder „Brigitte“. Bereits damals war das Asylrecht im GG Zentrum meiner Arbeit. 1995 gelang es mir, den Hessischen Landtag und das Hessische Kultusministerium mit Unterstützung hoher Beamter mit von mir präparierten Laufmappen den Verwaltungsablauf der Mitarbeiter etwas zu durchbrechen und die Kommunikation zu fördern.

 

Am 19.12.1997 kommentierte Heidi Müller-Gerbes von der FAZ eine Kunstaktion von mir während der „MÜLLKULTURA“ mit: Vom anderen Kunst- und Entsorgungsverständnis – Am anderen Ende der Müllkultura bleibt dem Künstler nur noch eine leere Hülle seiner Idee. Unwiederbringlich verloren. Und  natürlich drängt sich bei dem unerhörten Vorgang ein großer Vergleich ins Gedächtnis. Die Erinnerung an den so ungeheuren und rüden Umgang von Leuten, die nun wirklich nichts von Kunst verstehen, mit einer alten Badewanne und einer ekligen Fettecke. Bierflaschen gekühlt in der einen und sie auch sonst zu ganz Alltäglichem mißbraucht, die andere umstandslos beseitigt.“…“Geblieben ist nur das Abbild dessen, was sich einst in ihm befand: Vermittelte Realität als gerahmtes Bild, mit der sich ein Joseph Beuys nie begnügt hätte und ein Andreas Petzold schon gar nicht!“

 

Ende 1990 bis Mitte 2000 konkretisierte sich meine Arbeit deutlicher im Bereich der Eat-Art. Das Wiesbadener Tagblatt kommentierte am 25.08.1998: „Damit befindet er sich in der Kontinuität zur Kunstgeschichte, denn seit Jahrhunderten haben sich Künstler mit dem konkreten Genießen auseinandergesetzt.“  Der Kritiker Peter Müller kommentierte es im Feuilleton des Wiesbadener Kurier vom 10.11.01 wie folgt: ….“um in der Humorkirche in bester Maciunas-Tradition einen Festschmaus der unorthodoxen Art einzunehmen. Wenn es nun um skurrile Köchel-Performances geht, fallen einem eigentlich nur zwei Namen ein: Alfred Biolek und Pan alias Andreas Petzold. Erster ein eher unfreiwillig komischer Pseudo-Bocuse, letzter dagegen einschlägig bekannt für wahlweise schräge bis originelle Brutzeleien coram publico…!“

 

Folglich war die Arbeit in der Wiesbadener FLUXUS-Kantine ein muss. Die Frankfurter Rundschau vom 28.August 2002 beschrieb die Situation  mit: „1 Fluxus ist kindlich, 2. Fluxus ist hessisch und 3. Fluxus ist lecker. Fluxusfreund und Genussintendant Andreas PAN Petzold fordert: „Lasst endlich die Rezepte frei“. Auf zwei Herdplatten wird er während des Kultursommers …..Eat-Art zubereiten. „Es kann sein, dass mal drei Leute da sind, mal 50 – das ist das Spannende. Für alle wird auf zwei Herdplatten gekocht“ sagt Drei-Sterne-Kurator PAN.

 

Bis 2012 war die künstlerische Schaffensphase ein wenig reduziert, war doch meine Arbeit als Mitglied der Schulleitung an der Sophie-und-Hans-Scholl Gesamtschule und hier speziell in der Abendschule geprägt von intensiver und kreativer Förderung von Schülerinnen und Schülern, die ihre letzte Chance auf Erfolg im sogenannten 2.Bildungsweg sahen. Erst mit dem Ausscheiden aus dem Hessischen Schuldienst 2012 begann ich wieder mich konkreter mit Fragen der bildenden Kunst auseinanderzusetzen, was sich im Studium von Theorie und Kritik an der Hochschule der bildenden Künste (HdK Mainz) konkretisiert. Nach fünf Semestern in Theorie und Kritik zeitgenössischer Kunst bei Irene Schütze und Linda Hentschel hat sich mein Selbstbild ein wenig gewandelt.

 

Vor diesem Hintergrund meines Lernzuwachses an der HdK Mainz, begann auch eine deutlichere Selbstreflexion bezogen auf meine künstlerische Arbeit. Eine immer wiederkehrende Frage ist: „Wann oder wie sind Sie eigentlich […bezogen auf künstlerische Arbeiten und Aktionen. Anm. d. V.] auf die Idee gekommen. Damit beginnt eigentlich das Problem. Es gelingt mir nicht immer sehr genau das zu formulieren, was hinter den Ideen steckt, die ich mit Hilfe künstlerischer Mitteln umsetze. Der Prozess begann eigentlich parallel zur Arbeit als Kunsterzieher, wo ich die thematischen Arbeiten meiner Schüler durch eigenständige künstlerische Arbeit begleitete. Dabei standen Material -, wie stilistische und handwerklich-technische Fragen genauso im Fokus, wie die aktuelle Einordnung in den (kunst)geschichtlichen Kontext. Natürlich war es auch das Studium an der JWvG-Uni in Frankfurt an der AfE (Kunsterziehung), die zur Motivation beigetragen hat.

 

Die ersten Arbeiten stellte ich während des Studiums aus. Es waren damals schon modifizierte (dekonstruierte) scharz-weiß Fotografien, die während des Entwicklungsprozesse durch zusätzliche Lichteffekte und bewusste Temperaturänderungen der Entwicklerflüssigkeiten künstlerisch verändert wurden.

 

Nachdem ich mir vor wenigen Wochen das Buch von Antja Krause-Wahl und Irene Schütze „Aspekte künstlerischen Schaffens der Gegenwart“ inhaltlich angeeignet habe, ist mir erst einmal bewusst geworden, was ich die letzten vierzig Jahre an kreativen Konzepten und Prozessen angestoßen, teilweise umgesetzt und auch abgeschlossen habe. Inhaltlich lässt sich das mit den Aussagen von Andrea Büttner vergleichen, die im o.a. Buch in einem Interview folgendes auf die Frage nach dem künstlerischen Schaffensprozess formuliert: „Malen, Denken, E-mailen, Delegieren, Wegschmeißen etc.“ E-mailen war mir in den späten 70ern noch unbekannt. Mailart war zu diesem Zeitpunkt Teil meiner kreativen Spielwiese. Daraus sind damals erste Fragmente öffentlicher Auseinandersetzungen geworden.  Ob meiner ungenauen Formulierung, was ein Künstler sein könnte, und mir auch Joseph Beuys mit „Jeder ist ein Künstler“ nicht weiterhelfen konnte und kann, habe ich mich als damals schon als kreativen Macher oder Schaffer bezeichnet, der dadaistische und fluxistische Aspekte immer wieder in seine Kunstkonzepte bis heute 2016 konsequent mit einbezieht. Deshalb: Schuldenkrise? Parteienkrise? Flüchtlinge? TTIP? Frontex "Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee." Rettungsschirm? "Oooooooooooooooooooooooo, dll rrrrr beeeee b, dll rrrrr beeeee bö fümms bö." "Rinnzekete bee bee nnz krr müü?" EU-Ende? Weltuntergang?

 

Wer sich vom Zustand der Welt, Europas, Deutschlands oder meiner Heimatstadt Wiesbadens deprimieren lässt, hat vielleicht nur die falsche Einstellung. Ich lasse mich nicht kirre machen. Und Kurt Schwitters hatte die richtige Einstellung in seiner Zeit. An seiner Ursonate, aus der obige Zitate stammen, arbeitet Schwitters neun Jahre lang, während um ihn die Welt in ihrer schlimmsten Wirtschaftskrise versinkt, Rechtsradikale und Kommunisten sich Straßenschlachten liefern und ein gewisser Adolf Hitler Reden hält, die der Ursonate vom Klang her gar nicht so unähnlich sind. AfD, die auf Flüchtlinge schießen möchte und die politische Entwicklung in Polen und in Ungarn lassen wütend die Nackenhaare aufstellen. Da helfen auch keine Torten in Funktionsgesichter.

 

"Dada gilt als der explosivste, konsequenteste, schrillste und vielfältigste Versuch, Kunst, Literatur und Sprache aus den Fängen bürgerlicher Ideologie zu befreien, sie der Musealisierung und Intellektualisierung zu entreißen und mit den Forderungen des täglichen Lebens zu konfrontieren." aus: Dada, Martin Mittelmeier, Siedler 2016. Weiter heißt es. a.a. O. ...."Eine Phase immensen wirtschaftlichen Wachstums führte zu einem Innovationsschub, der das Alltagsleben komplett umkrempelt. Zu Beginn des 20. Jhrdts. sorgen Eisenbahn und Telegraphie für eine rasante Beschleunigung und Ausdifferenzierung der Lebenswelt. Zu Beginn des 21. Jhrdts. hat die digitale Revolution sämtliche Abläufe des privaten und beruflichen Umgangs verändert. So wie sich die Bevölkerungsexplosion der Großstädte ein neues Verhältnis von Nähe und Distanzierung ausbalancieren muss, erzwingen die sogenannten sozialen Medien eine Neudefinierung des Mit- und Gegeneinanders......."

Für mich war und ist die Kommunikationsform mit künstlerischen Mitteln die komplexeste und öffentlichste Form, subversiv, grotesk, humorvoll und provokant uns immer wieder selber den Spiegel vorzuhalten.

Die Kunst der Dadaisten ist eine Kunst des Nonsens, sozusagen eine Antikunst, deren Prinzipien Tristan Tzara in seinem Manifest festhielt. Im Dadaismus wurde mit dem Kunstbegriff experimentiert, Alltagsgegenstände wurden zu Kunstobjekten erklärt. Zudem verflossen die Grenzen zwischen den Kunstgattungen: Bei Bühnenauftritten wurden "bruitistische" (frz. bruit = Lärm) Konzerte, groteske Tänze und Gedichte aus inkohärent zusammengefügten und sinnlosen Wortfetzen von absurd kostümierten Menschen dargeboten. All` diese Begebenheiten sollten den Zuschauer provozieren und zur aktiven Reaktion auffordern. Für die Dadaisten war das Irrationale die einzige Hoffnung auf die gesellschaftliche Genesung:“ Quelle: http://www.kettererkunst.de/lexikon/dadaismus.php 

 

Protagonisten jener Zeit waren u.a. Hans Arp, Johannes Baader, Hugo Ball, Marcel Duchamp, Max Ernst, Hans Höch, Francis Picabia, Kurt Schwitters und Tristan Tzara, an denen ich mich seit meinem Kunststudium und meiner beginnenden künstlerischen Arbeit Ende der 1970er Jahre orientierte. Diskussionen mit Joseph Beuys, Wolf Vostell und Christo verfestigten mein Bild der Sicht der Dinge. Auch Charlie Chaplin als Großer Diktator trug bei der Verifizierung und Sichtbarmachung bei. Adenoid Hynkel: "Ay the straff mit hulten sect. De Wienerschnitzel mit der lagerbeer und der sour kraut." Und vor allem: "Democratzy schtonk! Liberty schtonk! Free sprechen schtonk!" Ernst ist das Leben, heiter die Kunst, sagt Schiller – aber wir wissen dank Künstlern wie Schwitters und Chaplin, was der Klassiker noch nicht wusste: Das Leben ist Kunst, also ist noch nichts verloren. Alles ist heiter. Joseph Beuys hätte es auch nicht besser formulieren können.  Alles ist "Dedesnn nn rrrrr, Ii Ee, mpiff tillff toooo, tillll, Jüü-Kaa" !
 

Die Collage, vornehmste Technik des Dada , trieb Kurt Schwitters auf die Spitze, er ist und war aus heutiger Sicht der erste wahre multimediale Crossover-Künstler, ein Materialvernetzer, der an der heutigen Nutzung des Internets und der sogenannten „sozialen Netzwerken“ als künstlerische Praxis sicherlich seine helle Freude hätte. Schwitters schnipselte und klebte, baute, malte, komponierte, schrieb, trug vor, dichtete und redet. Er war und ist ständiger Impulsgeber bei der Umsetzung meiner Ideen.

 

Aus meiner Sicht als Mail-Art-DADA-FLUXUS-Multi-Media Künstler heißt das Briefe und/oder Postkarten, kleine Pakete und/oder Tragetaschen, Texte und Theater für den kleinen öffentlichen, künstlerischen und subversiven täglichen Macht- und Wahlkampf, um für den Sinn des Miteinanders zu kämpfen oder als Botschaft des Miteinanders verschicken und Auffordern, das Gleiche zu tun und auf Reaktionen warten. Kreative Beispiele gibt es viele.

Ich schaue  nun von meiner 2. Heimat auf der Insel Föhr in Nordfriesland genau hin und entscheide mich auch weiterhin, mit aktiven, explosiven, schrillen, kreativen und konsequenten Kunstaktionen, die Welt ein wenig bunter und mit- menschlicher zu machen.

 

Dadaistische Grüße

 

Andreas

 

Von der Kunst, einen Kartoffelsalat zu machen

Kleiner philosophischer Exkurs in ein unendliches Thema 2019

 

Gut, Beispiele für die gewählte Überschrift gibt es wahrscheinlich genügend. Schwingen doch immer noch „Zen – oder die Kunst ein Motorrad zu warten“ von Robert M. Pirsig und „Die Kunst einen Bleistift zu spitzen“ von David Rees parallel mit. Nachdem es darüber hinaus auch noch eine Auswahl von Büchern gibt, die sich mit der Kochkunst oder der Kunst des Kochen beschäftigen und auch Spitzenköche wie Taillevant (Guillaume Tirel) und Escoffier bis Witzigmann (Koch des Jahrhunderts ?) und den Dokumenta-Teilnehmer Ferran Adria einschließlich der Kritiker Thomas Platt oder Jürgen Dollase, die nicht weniger müde wurden und werden, Kochen immer wieder in der Aura der Kunst zu verorten. Da kann es doch nichts besseres geben, als die Kartoffel und den zu erwartenden Salat für ein Paradoxon oder Methaper zur Erläuterung „Wie geht’s der Kunst!“ zu verwenden. Wer nicht weiß, was ein Paradoxon oder eine Methaper ist, braucht sich nicht zu schämen. Immer wieder werde ich hier und da mit der Frage konfrontiert: „Und, was macht die Kunst?“. Übersetzt heißt das im aufgeklärten Volksmund: „Und, wie geht´s Dir?“ „Danke der Nachfrage, alles o.k.“ Ist dann schon die stereotype Antwort. Bei der Frage allerding „Wie geht es der Kunst?“ tauchen wirklich mehr Antwortmöglichkeiten und zusätzlicher Fragen auf, die einer Erklärung bedürfen. Leider taugen die Erklärungen, die ja nichts anderes als Theorien sind, nichts, da sie für etwas stehen, das sowieso nicht zu konkretisieren ist, nämlich die Kunst. Beim Kartoffelsalat verhält sich das Ganze schon etwas anders.

 

Damit der geneigte Leser es gleich einordnen kann: ich habe nach fast 6.Semestern Studium der „Theorie und Kritik zeitgenössischer Kunst“ an der Hdk Mainz keinerlei Ahnung, was Kunst eigentlich ist. Hinsichtlich des Kartoffelsalat kann ich durchaus mitsprechen und mitschmecken. Zwei ausgezeichnete und motivierende Professorinnen sowie ca. 20 Philosophen von der Antike bis in die Moderne und streitbare Studenten/innen haben den Versuch unternommen, mir teils plakativ und präzise direkt, allerdings auch völlig unverständlich („Was haben die denn geraucht!“) zu erklären versucht, wo ich für mich Positionen ihrer theoretischen Sichtweise des Ästhetischen bis hin zur Begriffsfindung Kunst festigen und verorten kann. Oder, genauer formuliert, wo mein Werkbegriff oder meine künstlerische Position sich zeigt.

Ein eher mangelhafter Versuch. Und vor allem ist die Frage, „Wie geht es dabei der Kunst“ auch nicht beantwortet worden. Denn auch sie selbst äußert sich nicht konkret dazu. Beim Kartoffelsalat kann man im Vorfeld zumindest schon einmal Zwiebeln, Essig und Brühe riechen und seine Sensoren auf das zu Erwartende Geschmackserlebnis freuen. Und sieht man einmal von Performances und Happenings ab, so ist die Kunst oft zweidimensional und einsilbig still. Ich muss also den Versuch der Kommunikation aufnehmen und fragen: „Wie geht es Dir, Kunst?“ Und da stehst Du nun wie in der Kirche da, starrst mit gefalteten Händen Mutter Maria oder eine andere religiöse Reliquie an und erhoffst Antworten. In der Kirche magst Du ja noch weniger leise oder ekstatisch laut beten dürfen, aber besprich mal eine Ikone der Kunst laut gestikulierend in einer Galerie oder im Museum mit den kryptischen Formeln eines Kunstkritikers oder wie ein orthodoxer Jude an der Klagemauer. Da kann es Dir schnell passieren, dass Du als potentieller Feind vom Sicherheitspersonal identifiziert und entfernt wirst. Das kommende Hausverbot ist dir dabei sicher.

 

Die Frage, wie es der Kunst geht, ist bis dahin aber immer noch nicht beatwortet worden. „Bitte nicht berühren, bitte nicht mit Blitzlicht fotografieren, bitte Abstand halten, bitte nur 50 Personen in den Saal, wegen der Luftfeuchtigkeit!“ sind standardisierte Kommentare in den heiligen Hallen der Kunst.

Hat dabei eigentlich jemand die Kunst gefragt ob er oder sie es will. Hier stellt sich zusätzlich auch die Frage: „Ist Kunst eigentlich weiblich oder männlich!“ „Der vergoldete Scheisshaufen der Tochter von Jeff Koons“, „Der Mann mit dem Goldhelm“, „Der Holzfäller“ oder „Der Mönch am Meer“ usw.. Es fällt mir sicherlich noch mehr Kunst ein, die männlich ist. Oder ist die Frage schon obsolet? Jetzt entwickelt sich zusätzlich noch die Fragestellung, wie ich zur Kunst der Kartoffel komme, die ja bekanntlich weiblich ist. So zumindest die Arbeit von van Gogh „Die Kartoffelesser“ oder von Millet „Die Ährenleserinnen“.

 

Nimmt man jetzt auch noch den Kartoffelschäler hinzu, wird es komplexer. Der Kartoffelschäler wird benötigt, um die Kartoffel zu schälen. Der Pinsel und der Bleistift werden benötigt, um die Kartoffel zu zeichnen oder zu malen. Also, aus ihr Kunst zu machen, falls man das jetzt schon so abrupt formulieren darf. Ich kann natürlich auch aus einem Kartoffelrezept, das ich Buchstabe für Buchstabe zerschneide und es im dadaistischen Sinn wieder zusammensetze, auch Kartoffelsalat machen. Selbstverständlich kann ich einen Kartoffelschäler signieren und ihn in Bezug auf Marcel Duchamp zum Kunstwerk erklären. Natürlich kann ich eine Hülle und Fülle von Kartoffelschälern zu einer Skulptur komponieren á là Jean Tinguely und sie mit einem Solarmotor angetrieben über die Föhrer Kartoffelfelder robben lassen.

 

Mit der Kamera kann ich die Kartoffel übrigens auch fotografieren und daraus das Digitalfoto machen, das auf der Festplatte gespeichert und auf die Leinwand gedruckt werden kann, die ich dann mit Farbe und Lack verifizieren und aufhübschen will, damit sie so aussehen, wie die Arbeit „Die Kartoffeln“ von van Gogh. Habe ich hier gerade Kunst durch Arbeit ersetzt? Wie es der Kunst mittlerweile geht, scheint eigentlich niemanden mehr zu interessieren, oder.

Boris Groys, Prof. an der Faculty of Art and Science in New York, macht es sich dabei ganz schön einfach: „Die Kunst sagt zu ihrem Betrachter: Ich bin nicht das, was du von mir denkst!“ Den Bogen zur Erkenntnis erweitert mir dann noch Hans Ulrich Obrist, einer der zzt. einflussreichsten Kuratoren der Gegenwartskunst: „Kunst kann überall sein, draußen vor dem Fenster, unter unseren Füßen, zu Hause“. Natürlich im übertragenen Sinn auch unter der Erde, in einem Kartoffelacker!

Für mich impliziert das, daß ich doch einmal unter der Kartoffelschale nachschaue, ob da die Kunst ist und vor allem, wie es ihr geht! Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der Ludwig Maximilian Universität München, schreibt in seinem Editorial im KURSBUCH 184 „Was macht die Kunst?“: [………..An der Kunst sich zu reiben, heißt nach wie vor, ihren Sonderstatur als Erkenntnismittel, als Kritikmedium und als das ganz Andere in den Blick zu nehmen – um dann am Ende doch darauf zu kommen, dass die Kunst der Gesellschaft und der Welt nicht gegenübersteht…..]

 

Ich hoffe, dass das Schälen einer Kartoffel dieses Spannungsfeld zwischen Kunst, Gesellschaft und Welt konkreter in den Fokus der Erkenntnis bringen kann und wenn dann noch ein hervorragender Kartoffelsalat herauskommt, dann ist die Welt wieder in Ordnung. Was mit der Kunst weiterhin passiert, darüber berichte ich das nächste Mal, falls einer danach fragt.

 

Guten Appetit beim nächsten Kartoffelsalat!

Während andere Testesser Lob oder Verriss erst später fast anonym in ihren Gourmetführern öffentlich machen, bezieht der Gastrokritiker Thomas Platt das Publikum mit ein. Warum nicht auch das Gleiche in der bildenden, zeitgenössischen Kunst? Als Eat Art Künstler habe ich schon in verschiedenen Spitzenküchen gearbeitet, um meine Rolle als Künstler konkreter zu definieren und zu fixieren. Mit dem folgenden Text adaptiere ich Thomas Platts kulinarische Kritik als ein Gedankenspiel.



Kritik - Versuch und Irrtum?

Oder beides schon längst eine pseudointellektuelle Spielart gesellschaftlicher Randgruppen mit zu viel Geld?



Andreas Petzold 2017

 

In meinen Lehr- und Praktikumsjahren in verschiedenen Spitzenküchen, in denen ich mich spielerisch der Eat Art (Koch Kunst) nähern durfte, war das Thema Kritik als Damoklesschwert Bestandteil diverser Meetings und wurde immer öfter fast religiös hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Hier muss man nachdenken, ob man Kritik als Makel oder marktwirtschaftliches Instrument einordnen und selbstverständlich als positiven Verstärker instrumentalisieren sollte?
 

Bei einer meiner Arbeiten als Entremetier (franz. Beilagenkoch) und Gardemanger (franz. Koch der kalten Küche) mit Springerfunktion hatte ich vielfältige Formen von Vorspeisen und Salaten auf Sterneniveau produziert und rechtzeitig abrufen können. Aus meiner Sicht, im Antlitz eines hohen Adrenalinspiegels, eine perfekte handwerkliche Spitzenarbeit. Was nicht zwangsläufig dazu führte, dass irgendwie Lob vom Gast zu erwarten war. Allerdings ad hock der Stressfaktor par Excellance, denn einer wollte mich und den Umgang mit dem Problem scheinbar eines Abends testen. Der Küchenchef, der Restaurantchef oder der Gast. In einem meiner Salate war ein Zahnstocher filigran als Deko versteckt und natürlich angemahnt worden. Rund um meinen Arbeitsplatz waren in den letzten Wochen Zahnstocher noch nie gesehen, geschweige denn notwendig. Der Arbeitsplatz war vor und nach dem Mis en place* ein Spiegelbild eines OP-Saales. In Blitzesschnelle musste ich einen neuen Salat herstellen. Der légère Spruch junger Köche: „Mis en place“ ist etwas für Feiglinge - entpuppte sich hier glücklicherweise als perfekter Rohrkrepierer. Wer weiß, wie schnell ein Reifenwechsel bei einem Formel I Rennen für Sieg und Niederlagen sorgen kann, der kennt vielleicht auch das Gesicht eines enttäuschten Gaste, der aus der Küche auf das nächste „Attentat“ wartet.

 

Hier ist Kreativität und stresserprobte Grenzüberschreitung ganz nah und gleichzeitig Dogma. An anderen Tagen wurde es auch am Pass** schon sprachlich hektisch und unfreundlich, wenn der so geliebte Gast sich mittlerweile auch als Kritiker aufspielt, weil er in irgendeiner dubiosen Kochshows vermittelt bekommen hatte, das das Essen so oder so zu definieren sei. Und da der Gast im Dienstleistungsgewerbe König ist: „Nochmal neu, aber ohne Röststoffe und dennoch heiß – und das in spätestens einer Minute“! Jawohl oder oui, chef !!!!


*Mise en place: Das komplette logische und strukturierte Vorbereiten aller Abläufe in einem Restaurant/in einer Küche **Pass ist die Schnittstelle zwischen Küche und Gast. Da darf sonst keiner hin. Das ist für Normalsterbliche Sperrgebiet. Am Pass kommt keiner vorbei. Es ist die Stelle, an der die Gerichte noch den allerletzten, feinsten Schliff bekommen. Meist sind es der Küchenchef und sein Souschef, die unter den Wärmelampen hinterm Pass agieren. Der Pass ist die unüberbrückbare Grenze zwischen Küche und Service. Er ist das Nadelöhr, durch das alles durch muss, bevor es zum Gast gebracht wird. Und dann kommt noch die Botschaft, „Herr oder Frau ……… ist draußen, also bitte absolute Präzision!“, Du weißt doch, dass im Herbst die neuen Guides und Gourmetführer herauskommen!“


Also Druck von allen Seiten. Und dann kommt noch zum Küchenchef, zum Hoteldirektor und zur kritischen Öffentlichkeit der berufliche Kritiker hinzu, der Gang für Gang des Menüs in seine Einzelteile zerlegt und einer genauen Prüfung auf Geschmack und Stimmigkeit unterzieht.
 

Wer sich in diese Welt einlesen möchte, kann mit Büchern wie „Kochen ist Krieg“ (Gregor Weber), „Geständnisse eines Küchenchefs“ (Antonyn Bourdain) oder „Ich weiß, was Hunger ist“ (Tim Raue) einen Geschmack eines Berufes bekommen, der oft existentiellen und körperlichen Grenzbereich bedeutet und nicht mit der Pseudowelt der Kochshows zu tun hat, die uns täglich suggerieren, wie einfach das Ganze doch sei. Mein Essay „Heavy Metall und Champagner-Essig – 10 Tage als Gardemanger in einer Sterneküche!“ untermauert die These. (kann gerne angefordert werden!)
 

Aber, wie ist das schließlich in Bezug auf die bildende Kunst?
 

Anfassen nicht erlaubt, diffuses Licht, damit keine restauratorischen oder versicherungstechnischen Notwendigkeiten die Zukunft erschweren. Überall Aufseher mit Funkgeräten, Distanzhalter oder rote Linien, die den Betrachter von zu allzu naher Rezeption abzuhalten. Wahrnehmung ja, aber zu nah, nein! Umgekehrt füllt man Museen, wie bei Dürer im Städel vor einigen Tagen, um die immensen Kosten zu kompensieren und akzeptiert, dass ganze Busladungen bildungshungriger Touristen ohne Respekt im Zeittakt durch das Museum stöhnen. Der Einzelgast, wie ich „geil“ auf die Originale, steht auf verlorenem Posten vor schwitzenden Gruppen mit Audioguides und greift zuhause zum Katalog – also zum Repro/Abbild auf der Couch mit einem Glas Tee zur Beruhigung des vor einigen Stunden Erlebten. Denn vor Ort war ein Rezipieren der Kunst nicht oder nur unter Stress möglich.

Die Rezeption geschieht nämlich in der Regel bei Klassikern eindimensional. Je nach Künstler, Raum und Etat allerdings mittlerweile jedoch immer öfter durch Installationen auch mehrdimensional, wie die Beispiele von Olafur Eliason zeigen. Bei der Eat Art wird vielleicht noch zusätzlich Geschmack und Geruch als Ausdruck einer eigenen künstlerischen Idee offeriert und wahrnehmungstaktisch implementiert.
 

Und hier fordert Thomas Platt: …“ Eigensinn, <…..>, gehört zu den Voraussetzungen erfinderischen Geistes. Wer jedoch zuvörderst aus sich heraus lebt und unbeirrt Ziele verfolgt, sieht sich rasch dem Verdacht ausgesetzt, nicht allein Egozentriker zu sein, sondern womöglich gar auch noch ein Egoist. Nirgends kann derlei besser widerlegt werden, als an einem Ort, der zwar seit jeher aus gemeinschaftlichem Interesse existiert, aber zugleich wie kaum ein anderer individuelle Entfaltung mit greifbaren Ergebnissen ermöglicht. Nämlicher Ort gilt als Sammelpunkt und Reservoir unzähliger Ideen, die sich zu Mustern ordnen, um dann als Rezepte ihrer Brauchbarkeit unter Beweis zu stellen. Um sich darin nicht zu verlieren, bedarf es schon einer Existenz, die in erster Linie sich selbst folgt. Der Eigensinnige scheint dafür wie gemacht. Denn bei all seinen Vorstellungen, Phantasien und Visionen ist die Tat nicht bloß mitgedacht. Sie ist ihr Ausgangspunkt. Sie wird gegen inneren und äußeren Widerstand begangen.“
Er spricht dabei von der Küche. Ich reflektiere und schreibe zurzeit über Kunst – genauer genommen über die Eat Art. Und dabei erkenne ich eine gewisse Parallelität seiner Aussagen zwischen Küche und Kunst.
„…Denn kaum irgendwo anders liegen Gedanke und Wirklichkeit für den Schaffenden so nahe beieinander, dass sie sich förmlich zu berühren und gegeneinander zu verschieben scheinen. Man könnte hier nicht etwa von Reibungsverlust sprechen, sondern tatsächlich von Reibungsgewinn!“…
Weiter heißt es: „...Eigentlich hätten Fachkenner bereits aus der persönlichen Entscheidung des Küchenchefs folgern können, dass es mit den Menüs eine Bewandtnis haben muss, die über das rein Kulinarische hinaus stößt. Denn seine stille, fast grüblerische und dabei völlig unprätentiöse Art verrät den Denker hinter einem handwerklichen Geschick, das allerdings stupend ist. Deshalb spielt der Einsatz von Luxusprodukten sowie deren formvollendete Präsentation keine so große Rolle wie in vergleichbaren Restaurants der Sterneklasse. Vielmehr bewegt den Gast etwas schwer Fassbares, das mit dem außer Mode gekommenen Wort „Geist“ gut bezeichnet wird. Jedenfalls spiegeln die Werke des Meisterkochs wider, dass feine Küche in ein Abenteuer des Denkens verwandelt werden kann. Darum erhalten Zutaten dieser Küche den Status des Akzidentiellen. Zunächst. Dennoch gibt es Kaviar und Gänseleber. Aber sie befinden sich im Rang von Zitaten, die in einen Text aufgenommen wurden, um eine These mit Autorität zu versehen – oder in dem von Worten und Sätzen, die poetische Intuition zu vergegenwärtigen. Ja, im Ernst, man kann diesen Mann im Rahmen eines erweiterten Literaturbegriffs durchaus als Dichter mit Kochhaube verstehen, dessen Sprache vom Gaumen durchbuchstabiert wird – die aber zugleich immer auch dem Intellekt verständlich bleibt. Der Vorteil einer solchen Interpretation der Gestalt des Kochs liegt auf der Hand: Er öffnet dem Connaisseur eine Leidenschaft voller Assoziationen sowie Querverweise und stellt ein Vokabular zu Verfügung, das beispielsweise in den Feuilletons der großen Zeitungen jeden Tag erprobt wird!...“

 

Deutlichere Parallelen werden meines Erachtens im Artikel „HIER SPRICHT DER GAST“ (FAZ Sonntagszeitung, 19.Januar 2014) – über das Last Supper in München von Thomas Platt sicht- oder lesbar. „….Bei der malerisch in einer Terrine liegend, angenehm schwappigen Hummerbisque mit Croutons wird die Redundanz zum entscheidenden Element. Indem ein Löffel dem anderen gleicht, gewöhnt man sich an die hervorragendsten Eigenschaften voller Harmonie: dass sie sich nicht wieder zergliedern lässt. Die Perlmuttnote der gerösteten Karkassen, die Süße des Fleischs und der Sahne sowie Tomate gehen eine Legierung ein, von der man kaum genug bekommen kann. Es bedarf keiner Mühe sich vorzustellen, wie sich die Gäste eines längst geschlossenen Grandhotels an dieser Suppe gütlich taten!“
 

Ich glaube, dass sich - bezogen auf Kritik in Spitzenrestaurants und in der Kunstszene - die Sprache seit geraumer Zeit zu einer eigenen Kunstform mutiert und jeden vernünftigen Sachbezug verloren hat. Mittlerweile muss man sich sogar mit Büchern wie z.B. „Kleines Wörterbuch der Weinsprache“ von Klaus Peter Althaus oder „Kulinarische Intelligenz“ von Jürgen Dollase ausstatten, um den Genuss im Restaurant auch richtig verstehen zu können.
 

Das Feuilleton ermöglicht uns darüber hinaus den eigenen Kunstgenuss sach- und fachgerecht zu optimieren und zu orten. In der FAZ-Sonntagszeitung z.B. vom 26.01.2014 heißt es auf Seite 38 unter

Alles, was Zerfall ist:
…“Ein riesiges Mobile aus selbstgemachten Schrumpfköpfen schwebt über den Ausstellungsbesucherköpfen. Auf einem Kürbis ist ein Holzblock befestigt, wackelige Stapel aus Bananenkisten und Wellblechteilen, eine Silberkugel am Boden. Zwei immense Holzkonstruktionen ähneln rudimentären Gebäuden und auch unbedingt Dieter Roths Gartenskulpturen. Alles soll zerfallen können: Von der Decke baumelt eine Art Monstergeschmeide aus Limetten, das wunderschön aussieht, bis man feststellt, dass die Limetten bereits begonnen haben, zu schimmeln. Überhaupt: In jedem Eck ist eine Rübe versteckt oder ein Bündel Bananen, und deswegen ist es auch kein Wunder, dass es hier riecht. Leicht gammelig, nach Obst, Dung und Holz.“

 

Der Artikel endet - und hier nehme ich die Kritik des „aus dem Zusammenhang Gerissenen“ gerne an und ergänze mit: „…Das ist dann auch die Botschaft, die hinter all den Erklärungen steckt: Keine Angst vor Kot, Erde und Schimmel. Wer das echte Leben will, was immer das ist, kommt um die Materialschlacht“ im Münchner Haus der Kunst nicht herum.
 

Hier vermische und verbinde ich jetzt in freier Interpretation Thomas Platts These: „…Auch wenn in diesem Lokal/(dieser Galerie/diesem Museum*) jedem Detail etwas Unvermeidliches, ja Wesentliches – sie also vom Koch(Künstler/Kurator*) ihres anfänglich akzidentiellen Status enthoben werden – zukommt, wecken die Arrangements auf dem Teller(an der Wand oder im Raum*) den Eindruck, als habe durchaus auch der Gott des Zufalls seine Finger im Spiel. Etwas so, als könne allein er garantieren, dass Tradition und mit ihr jene ererbten Privilegien, die sich einzelne Zutaten in der Geschichte der Gourmandise (der Kunst*) erworben haben, nicht überhand nehmen. Hier wendet der Koch/(Künstler*) also ein Verfahren an, das in der modernen Schriftstellerei häufig erprobt wurde. In Wirklichkeit sind die Kompositionen zu einem nicht unbedingt immer fröhlichen Ende gedacht.“ *Anm. d. Verf.
 

Ich empfehle zur weiteren Lektüre das Buch von Michael Finlay „Vom Wert der Kunst“, Prestel Verlag 2012, Seite 138 ff. „In den 70ern wurde der Diskurs über zeitgenössische Kunst existenzieller und schwerer nachvollziehbar. Die Aufmerksamkeit richtete auf Werke von minimalistischen Malern und Bildhauern sowie konzeptionellen Künstlern, wobei viele von uns erst einmal in ihren Wörterbüchern nachschlagen müssen, um die Texte zu verstehen.“

Der Kunstkritiker, Händler und Kurator Heiner Bastian formulierte es über die Arbeit von Cy Twombly so: „Die Hauptfaszination dieser Bilder liegt in der Erfahrung einer direkten gegenseitigen Infiltration des inhärenten Formalismus, erzeugt durch eine prismatische Analyse multipler Formenzustände!“ Finlay a.a.O. S.140.

Künstlerische Praxis im Zeitalter des Internet

 

Ist das Neue noch wichtig? Welche Rolle spielt ein Original? Was ist überhaupt ein Original? Wie verändert das digitale Zeitalter die Künstler und ihre Kunst.

 

Eine Selbstbeobachtung von Andreas Petzold als Grundlage der interaktiven Präsentation „Wir sind Maus“ im Kolloquium am 10.12.2015

Prof. Dr. Hentschel, HdK Mainz

 

Rund sechzig Jahre nach Daguerre (1837 erster Apparat zur mechanischen Erzeugung von Lichtbildern) beginnen die Bilder nicht nur zu laufen, sie werden bald danach auch noch anfangen zu sprechen. Die Welt erschließt sich seinerzeit durch neue Wahrnehmungsebenen. Bilder, Ereignisse, Dinge und gesellschaftliche Prozesse, die in jener vorindustriellen Zeit nur wenige Menschen unmittelbar und in direkter sinnlicher Gegenwart erfahren konnten, ließen sich ab sofort – sicherlich immer noch für einen kleinen Teil der Gesellschaft – vervielfältigen und über Grenzen und Räume zugänglich machen. Es war somit zukünftig mit geringem Aufwand möglich, Millionen von Menschen an demselben Bild, Ereignis, Ding oder gesellschaftlichen Prozess teilhaben zu lassen oder wenigsten die Illusion der Teilnahme sinnlich zu ermöglichen und vielleicht auch zu empfinden.

 

Der Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“ hat mich in den letzten Jahren immer wieder auf das Neue fasziniert und beschäftigt, insbesondere unter dem Aspekt des Aufkommens des Computers in Deutschland in den 80er Jahren. Der Commodore C64 ermöglichte mit seiner umfangreichen Hardwareausstattung zu erschwinglichen Preis einer ganzen Generation von Jugendlichen in den 1980er Jahren erstmals Zugang zu einem für diese Zeit leistungsstarken Computer. Anfang der 70er Jahre wurde die "Magnetfolienplatte in eine Hülle" (8 Zoll Diskette) entwickelt. Als Datenträger nutzte man damals Floppy-Disks (flexible Scheibe), eine dünne, beschichtete und magnetisierbare Kunststoffscheibe. Sie liegt zum Schutz vor äußeren Einflüssen entweder in eine flexible Kunststoffhülle oder in einer starren Cartridge. Was waren wir als junge Lehrer/Innen (ca. 5-10 von ca. 70 Kollegen/Innen) von den neuen Vervielfältigungsmöglichkeiten für Unterrichtszwecke begeistert. Ich erinnere mich noch genau, wie ich als einer der ersten die flexible Hülle in das Lesegerät des neuen Computers einlegen durfte, um schließlich „quietschende Geräusche“ und erste kryptische Zahlenfolgen auf dem grünlich schimmernden Bildschirm aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen. Der Computer war noch in einem Raum eingeschlossen und nur eine Handvoll Kollegen/Innen hatte (wollte!) Zugang erhalten. Der Schlüssel lag beim Schulleiter. Es erinnerte mich damals immer ein wenig an die Szene mit der Dampfmaschine aus dem Jahre 1944 von Helmut Weiss nach dem gleichnamigen Roman von Heinrich Spoerl.

 

Man sollte wissen, dass Ende der 70er Jahre Ergänzungen zu Unterrichtsvorbereitungen, auch für den Kunstunterricht, mit sogenannten Matrizendruckern, Spiritusdruckern oder Blaudruckern gemacht wurden. Mit dem Matrizendrucker konnte man eine begrenzte Anzahl von Abzügen  von einem speziell angefertigten Original – der Matrize – herstellen. Man erkannte die Kollegen/Innen immer an den „blauen“ Fingern, wenn sie nicht gerade technikaffin waren oder „zu pünktlich“ in der Schule erschienen.

 

Diese Reproduktionssysteme wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Verwaltungen, Schulen und Bildungseinrichtungen verwendet. Eine weite Verbreitung bestand bis Ende der 1970er Jahre, Mitte der 1990er Jahre wurden die Matrizendrucker jedoch zunehmend durch den weit verbreiteten Einzug der Fotokopiertechnik abgelöst. Bei beiden Techniken gab es und gibt es immer noch Staus vor dem morgendlichen Unterrichtsbeginn an den internetbasierten Multifunktionsdruckern. Die ganz Schnellen laden sich heute allerdings all ihre Unterrichtsvorbereitungen auf ihr Email-Postfach und greifen direkt auf dem Whiteboard im Klassenraum darauf zu. Äußerst motivierend und dazu noch papiersparend.

Den Quantensprung konnte ich nach fast vierzig Jahren Schuldienst (25 Jahre Mitglied der Schulleitung) glücklicherweise noch 2011/12 erleben, als unsere Schule -  damals als eine der ersten - 6 Whiteboards übernahm, die nicht nur Arbeitsprozesse optimierten, wie oben dargestellt, künstlerische Visionen sichtbar machten und auch durch die Internetverbindungen Fach- und Sachfragen auf ihren „Wahrheitsgehalt“ und ihre Logik zügig überprüfen konnten. Manche Kollegen/innen konnte das ganz schön ins „Schwitzen“ bringen,  aber auch ein völlig anderes Lernverhalten ermöglichen.

 

Heute ist multimediale Internetarbeit in vielen Schulen Normalität. Medienerziehung Teil einiger schulischer Leitbilder geworden. Viele verdammen mittlerweile die ständige Onlinekommunikation als Teil einer neuen Suchtkultur, nicht nur in der Schule.  Aber das ist ein anderes Thema. Durch mein Studium der Kunsterziehung und der Politik bin ich fast automatisch selbst als Künstler, insbesondere durch die Professoren Spemann und Kiefer in Frankfurt konditioniert worden, der schließlich immer wieder versucht hat durch kreative Kunstaktionen das eigenen Sehen zu hinterfragen und die Öffentlichkeit mit einzubeziehen. Meine Präsentation am 10.12. wird darauf im Besonderen eingehen.

Mainz hatte mich ja 1972 wegen mangelnder Begabung abgelehnt.

Seit dem Beginn der Moderne, strebten die meisten Künstler nach dem nie Gesehenen. Sie wollten die Geschichte hinter sich lassen, denn ihre Kunst sollte anders, sollte so einzigartig sein wie sie selbst. "Wir wollen von der Vergangenheit nichts wissen", schrieb 1909 der erhitzte Künstler Marinetti. "Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen!" In der Folge wurde Innovation zum höchsten Ziel. Ein Genie, wer das Neue gebar, voraussetzungslos nur dem eigenen Ich verpflichtet. Ob das noch so ist, muss auch ich kritisch hinterfragen. „Die Werteordnung hat sich verschoben, mehr noch, sie wird auf den Kopf gestellt. Was eben noch wichtig war, hat morgen schon wieder ausgedient. Und was bis vor Kurzem verpönt war, wird nun gefeiert. Eine große Umkehrung, wenngleich eine stille, oder?

Holger Liebs, Chefredakteur von monopol – Magazin für Kunst und Leben, schreibt im Editorial der Dezemberausgabe 0.15: „…fängt es gerade an? Oder geht es zu Ende? Ist der Nachschub gesichert? Oder versiegt er? … Denn am Himmel taucht etwas auf, was „Zombie-Formalism“ genannt wird.“ Eine Kunstform, die leicht konsumierbar, gegenstandslos ist und nur den Markt bedient – und dabei keinerlei Ewigkeitsattitüden bedient.

 

Auf der GLOBALE im ZKM in Karlsruhe versuchte man im Sommer 2015 sich der neuen Kunstereignisse im digitalen Zeitalter anzunehmen. Global Control, Kunst und Evolution, Kunst und digitale Revolution & Renaissance 2.0 sind u.a. die Schlagworte. „Die performative, mediale, digitale und handlungsorientierte Kunst der Gegenwart will von der Veränderung der Welt nicht ausgeschlossen bleiben, sondern will wie die Wissenschaft zu ihrer Erkenntnis und Konstruktion beitragen, und ersetzt daher Repräsentation durch Realität. Sie eröffnet neue Perspektiven und Optionen für die digitale Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, für welche die Gleichung >Medien, Daten und Menschen< gilt. Die Museen, die Printmedien und der Kunstmarkt, wechselseitige Komplizen, verweigern diese Kunst dem Publikum, obwohl diese weltweit existiert.“ Aus: Zeitungsbeilage „Karlsruhe – a hidden champion „ Ausstellung zum 300jährigen Geburtstag 2015

Weiter heißt es a.a.O. „…Die digitale Revolution verändert den Kunstbegriff, indem sie seine Komponenten freisetzt. Mit der Fotografie hat der Maler das Monopol des Bilderherstellens verloren, mit der digitalen Technik der Künstler sein Monopol auf Kreativität. Nicht nur ist jeder Mensch Künstler, sondern jeder Mensch wird durch soziale Medien zu Sender und Empfänger. Für die lauten Künstler der Avantgarde galt es noch als vornehmste Pflicht, sich bis zu den Ursprüngen vorzukämpfen, zu jener Quelle, die auf Lateinisch origo heißt und die in der Originalität bis heute fortlebt,..“ so wie es Hanno Rauterberg formuliert. „..Die leisen Künstler von heute interessieren sich hingegen nur wenig für Quellen, sie wollen auch nicht unbedingt kreativ sein, sondern verlegen sich auf das, was manche Rekreativität nennen. Kunst mit großem R: Recycling und Reenactment, Reproduktion und Reprise, Remix, Ripping und Remake.“… „Aber Vorsicht, so Rauterberg, …“ wenn etwa Elaine Sturtevant ihre Kollegen Joseph Beuys oder Lichtenstein derart akribisch nachahmte, dass kein Unterschied zwischen Original und Kopie zu erkennen ist, dann handelte es sich dabei doch immer noch um eine demonstrative, belehrende Geste. Sturtevant machte etwas Neues, indem sie auf alles Neue verzichtete.“

Geistiges Eigentum? Urheberrecht? Derlei halten viele längst für Begriffe einer längst vergangenen Epoche. Sie nehmen sich, was sie brauchen, und haben nichts dagegen, dass sich andere wiederum bei ihnen bedienen. Die Kunst, so scheint es, wird mehr denn je als ein kollektiver, unabgeschlossener Vorgang begriffen, der die Vergangenheit ebenso einbindet wie das, was heute an Bildern produziert wird. Cornelia Sollfrank spricht von einer "anderen Originalität" – und präsentiert sich als multiple Persönlichkeit, als ihr eigenes, vielköpfiges Künstlerkollektiv. Vielleicht ich auch oder schon vor ihr?

Ob wir wollen oder nicht, Kunst ist und wird an der Veränderung des gesellschaftlichen Lebens immer beteiligt sein – ob in analoger oder digitaler Form. Diskutiert wurde in den letzten Jahren immer wieder die Frage der kostenlosen Reproduktion von Musik und Texte – Kunst kam darin nur spärlich vor. Die Aura der Kunst, die Walter Benjamin als deren wahres Sein beschrieben hat, läßt sich nicht downloaden. Oder vielleicht doch? Hanno Rauterberg positioniert sich in seinem Buch „Die Kunst und das gute Leben“ mit: „[…Wenn die hohe Vorstellung, dass sich in den Werken des Künstlers eine eigene Wahrheit ausspricht, nicht länger relevant ist, wenn der tradierte Glaube nicht länger verfängt, die Kunst müsse von allen weltlichen Zwecken entbunden sein, da sie nur so ihre Kraft entfalten könne, wenn also zentrale Zuschreibungen und Verheißungen verblassen, dann verändert sich das, was man die ideele Geschäftsgrundlage der Kunst nennen könnte.

 

Sie ist nicht mehr länger ein potentiell außermoralischer Raum, sondern muss sich mit den Normen und Werten einer Gesellschaft befassen, deren eingebundener Teil sie nun ist!...]“

 

Meine Arbeiten lassen einen offenen Diskurs, ob ich etwas Neues schaffe oder nur zeitgenössisch remixe, im Besonderen zu.

Ich freue mich auf eine anregende Diskussion.

Wenn ich Kunst sehe ich Rot!

Andreas Petzold:  Thesenpapier zum Proseminar: Essen als Motiv der bildenden Kunst (Diplomstudiengang Freie Kunst, BEd Bild, Kunst Modul 3.3)

Prof. Dr. Irene Schütze

 

25.06.2015 -  Interaktiver Impulsvortrag zum Thema: Essen als Kunstform

„Wir halten beim Essen nicht die Welt an, wir gehen vielmehr noch ein Stück weiter auf sie ein!“ Olafur Eliason, Milchhaut mit Gras, Vorwort zu René Redzepis Kochbuch NOMA    (2011)                                              

Von Tomaten und anderen Roten   ----------

 

oder von vielsagenden Bildern, anschaulichen Gedanken und der Frage nach dem Geschmack. Dabei werden sicherlich Fragen aufgeworfen, die das „kognitive Potential von Visualisierung“ streifen werden, aber nicht in ausreichender Form eines interaktiven Impulsvortrages (Eat-Art-Happenings) erörtert werden. „Cognitio“ wird allgemeinwissenschaftlich als Erkenntnis oder auch als Bekanntschaft bezeichnet. In diesem Zusammenhang soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Visualisierung oder bildliche Veranschaulichung uns zu Erkenntnissen oder möglicherweise auch zu Einsichten führen kann.

 

Zwei Elemente stehen deshalb im Zentrum meiner Betrachtung. Erstens die Tomate, von der viele Genießer nicht wissen, dass sie wie die Tollkirsche, der Stechapfel und die Kartoffel in einem „giftigen“ Verwandtschaftsverhältnis (Solanin) stehen und im 18. Jahrhundert die Menschen abschreckte, so dass sie die Pflanzen eher zur Zierde und als Schweinefutter verwendeten. Schaut man sich heute allerdings die Auslagen der Supermärkte an, scheint diese Scheu überwunden worden zu sein. Laut Angaben des Bundesamts für Landwirtschaft und Ernährung verzehrten die Deutschen im Wirtschaftsjahr 2012/2013 pro Person durchschnittlich 20,6 Kilogramm Tomaten – mehr als von jedem anderen Gemüse.  Allerdings zu Lasten der Qualität.  Die Quantität orientiert sich an Ertrag und Transportfähigkeit. Aber das ist ein neues Thema.

 

Zweitens die Farbe Rot, die wie keine andere Farbe mit der Tomate assoziiert wird (Lycopin ist verantwortlich für das Rot der Tomate!). In Kombination mit der sinnlichen Form der Tomate und ihrer Farbe verkörperte sie das Bild des Paradiesapfels, der Adam und Eva verführt hatte.  Kulturhistorisch und symbolisch wird die Farbe Rot mit Blut und Feuer in vielen Kulturen zu allen Zeiten in existenzielle Beziehung gebracht. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass es neben dem „Schwarzen Prinzen“ und der „Green Zebra“ noch Tomaten mit verschiedenen Gelb- und anderen Farbtönen gibt. Für mehr Verwirrung könnte die Diskussion sorgen, ob Tomaten Gemüse oder Obst, bzw. botanisch genauer formuliert, Beeren sind. Das überlasse ich aber dem Fachbereich Lehramt Biologie.

Mein Impulsvortrag soll deshalb durch interaktives Handeln und Agieren, die Beziehung von Tomaten und der Farbe Rot, thematisieren und im Kontext „Essen als Kunstform“ im o.a. Proseminar verankern.

 

Die Einheit von Kunst und Leben ist nicht nur eine von Joseph Beuys oder Marcel Duchamp erhobene Forderung seit der Kunst des 20. Jahrhunderts. Auch Daniel Spoerri oder Dieter Roth haben diese Maxime konsequent in ihre Werke integriert. Allerdings in einer erweiterten künstlerischen Kategorie:

die der Eat-Art. Grundlage dieser künstlerischen Diktion ist wohl die einzige Maxime, dass Lebensmittel die organische Grundlage unserer Existenz und damit auch die Basis unserer Kultur darstellen. „Erst das Verwenden (Kochen) von Lebensmitteln“ – so der Harvard-Anthropologe Richard Wrangham – „macht den Menschen zum Menschen! Ohne die Kulturtechnik des Kochens wäre die menschliche Evolution wohl nie in Gang gesetzt worden!“ Aus meiner, vielleicht kritischen Sicht, befinden wir uns deshalb vielleicht in einer Art evolutionärem Umkehrschub.

Der Eat-Art-Künstler „zwingt“ beispielhaft plakativ und provokativ uns mit den Grundbedürfnissen der Nahrungsaufnahme zu konfrontieren und einen „Blick über den Tellerrand hinaus“ zu wagen, sofern wir uns darauf einlassen können. Dieser Blick ermöglicht uns ein Sehen, welches die Nahrungsaufnahme nicht nur als tägliche Notwendigkeit zu erkennen gibt, sondern sie auch als Teil sozialer Hierarchien, gesellschaftlicher Klischees und Normen, persönlicher Süchte und Abneigungen (Ekel und Allergien) und intimer oder öffentlicher Akte darstellen. Und gerade in der direkten und oft provozierenden Arbeitsform mit den Lebensmitteln eröffnen Künstler den Diskurs in der Frage der Auseinandersetzung mit der Produktion und Verwertung von Nahrungsmitteln. Dabei werden fast automatisch Fragen der elementaren Lebenskraft, die durch die Aufnahme von Lebensmitteln generiert wird, genauso angesprochen, wie deren Verknappung oder Minimierung (die „neue“ Brigitte-Diät) bis hin zum Verlust (bspw. die Kartoffelfäule in Irland Mitte des 19.Jhrdts.), was Lebensende oder frühen Tod zur Folge hat.

All diese Faktoren scheinen ein immanenter Denkprozess zu sein: Ideen entstehen im Kopf, lange bevor sie sich in Skizzen, Regieanweisungen, Versuchsanordnungen, Entwürfen oder Modellen verfestigen. Jean Christoph Amman, der ehemalige Leiter des MMK in Frankfurt/Main, hat das bereits in seinem Buch „Bewegung im Kopf – vom Umgang mit der Kunst (1993)“ präzise beschrieben:

„Ich ertappe mich immer wieder, wie aufgrund neuer Dialogsituationen zwischen Werken verschiedener Künstler auch neue Erkenntnisse entstehen, die mir eine neue Form abverlangen oder die mich veranlassen, ja zwingen, einen unklaren Gedankenverlauf innerhalb einer bestehenden Form zu klären. Wie so oft braucht es auch einen äußeren Anlass!“ Weiter heißt es: „ Das Schicksal des Künstlers ist, daß er zur Kreativität verdammt ist.“ … „Der Künstler ist der Geschichtenerzähler par excellence, der die großen Themen, die uns allen eingeschrieben sind: Zeit, Angst, Tod, Sexualität, in immer neuen Formen und Inhalten vergegenwärtigt.“
Aus: Jean Christoph Amman in: Bewegung im Kopf. Undinger+Schmid,1993, S. 124 ff .

Darüber hinaus ist die spezifische Leistung der Kunst des 20. Jahrhunderts die Aktivierung des Betrachters als Vollender des Kunstwerkes. D.h., jeder Einzelne kann mittlerweile sein ganz persönliches Kunsterlebnis initiieren. Mittels www.googleartpoject.com kann der Kunstinteressierte zurzeit ca. 231 Museen & Sammlungen sowie etwa 35000 Kunstwerke per Mausklick entdecken, trotz Benjamins Theorie des Aura-Verlustes der Kunst durch die massenhafte Reproduzierbarkeit. Aber zurück zum Kernthema.

Für den Protagonisten der Eat-Art, Daniel Spoerri, spielt der Prozess der Veränderung dialogisch eine herausragende Rolle und ist somit das eigentliche Erzeugnis kreativen Handelns und Denkens. „Über die Idee hinaus […] trifft für ihn auch der Umstand zu, dass alle seine Vorstellungen und Konzepten in ganz bestimmten Umgebungen überhaupt erst reifen und entstehen können – bis hin zum wichtigsten Faktor, dass der Raum selbst bei Spoerri zum wahren Aktionskünstler wird, mit dem er in einen unablässigen Dialog tritt.“
Text aus: Daniel Spoerri, Eaten by… Ausstellungskatalog 2009, S.7

Gleichzeitig kennzeichnet er die Eat-Art „als eine Kunstform, die grundsätzlich Offenheit für existenzielle Fragen der Menschheit kennzeichnet und dabei klar macht, dass der Mensch diesen Lebensbedingungen und Prozessen schicksalhaft ausgeliefert ist“ und somit beispielhaft durch die bildenden Kunst (Eat-Art) auch nicht aufhört diese dauerhaft zu reflektieren.
Daniel Spoerri, a.a.O. S.7

Dieser „spoerrische“ Begriff der Veränderung ist für mich wesentlicher Bestandteil meiner Koch- und Kunstaktionen. Im weitesten Sinne Kochkunst oder Eat-Art. Kochkunst oder Eat-Art implizieren aber notwendigerweise im Begrifflichen Sinn Spiel mit und durch Lebensmittel, um „geschmackvoll, geschmacklos und jenseits des Geschmacks Beobachtungen zum Kunst-Diskurs“ machen zu können.

„Mit Essen spielt man nicht“ muss hieraus dann als eine  metaphorische Bezeichnung zwei gegensätzlicher Pole der inhaltlichen Verortung ableitet werden. Für Jürgen Dollase, Gastrosoph und kritischer Feinschmecker, subsummiert sich alles kulinarische Denken und Handeln in „Kulinarischer Kompetenz“, die durch „Kulinarische Intelligenz“ ausgelöst werden kann. Seine Formel Essen=Produkt x Zubereitung : Entschlüsselung setzt aus meiner Sicht allerdings  die Triebfeder der kreativen Analyse und das Spiel (Augenlust und Gaumenfreude) beim Umgang und der Verarbeitung von Essen zwingend voraus, um den Rätseln der Kochkunst auf die Spur zu kommen.

Die Eat-Art kann/muss einer der Entschlüsselungsbausteine sein, um den perfiden Geschmackstäuschern zumindest teilweise Paroli zu bieten. Auch dann oder gerade weshalb ich damit dem Künstler Piero Manzoni, dem Urvater der Performance, als „Mit“-Begründer der Land-, Eat- oder auch Pop-Art (Hanno Rautenberg in: Der letzte wahre Avantgardist in: Die Zeit 29, 11.07.13) wiederspreche, der die Kunst zu entweihen (Künstlerscheisse in Dosen!) schien und gleichzeitig ihr Geheimnis bestärkte!

Aus diesem Grund muss die Eat-Art, die wie keine andere Kunstform den sinnlichen Wahrnehmungshorizont erweitert, den Fokus verstärkt auf die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen der Ernährung, der Produktion und der Verwertung von Nahrungsmitteln legen, denn Essen und Trinken ist nicht nur Geschmacksache, sondern auch Politik. Als Paradox scheint sich gleichzeitig ein Trend sichtbar zu machen, dass mit der Entfremdung einer natürlichen Nahrungsproduktion und Aufnahme gleichzeitig das Interesse am Essen und Kochen über den Umweg medialer Inszenierung zunimmt. So gesehen, hat man - im übertragenen Sinne - nicht die Musik (Kochkunst), sondern nur den Schlager (Lieferheld: “Essen ist unterwegs!“) entdeckt.

Jürgen Raap erklärt die damit zusammenhängende „Entritualisierung der Tischkultur“ - (Vati und Mutti sitzen mit Feinripp und Kittelschürze, Fertigfutter und Bier bei „Lafer,Lichter,Lecker“ und lachen sich im wahrsten Sinne des Wortes kaputt/krank!) – mit der Spiegelung der Gesellschaft, in der „Bindungslosigkeit und Verlust von Tradition und Identität offenkundig (evident) sind“. Jürgen Raap: Kunstforum 159 (2002) – Liebe geht durch den Magen –Seite 46 ff)

Literatur, die bei der Herstellung des Thesenpapiers verwendet wurde: - Kunstforum, Band 159&160 (2002), Jürgen Dollase: Kochuniversität –Tomaten (2006), Jürgen Dollase: Kulinarische Intelligenz (2006), Harald Lemke: Die Kunst des Essens (2007) - Eine Ästhetik des kulinarischen Geschmacks,  Nortmann/Wagner: In Bildern denken (2010), Eating the Univers – Vom Essen in der Kunst (Ausstellungskatalog 2009/2010), Irene Schütze u. A. : Über Geschmack lässt sich doch streiten (2010/2011), Hervé This-Benckhard: Rätsel der Kochkunst (1996), Eva Heller: Wie Farben wirken 7.Aufl. 2013, René Redzepi: NOMA - ZEIT und Ort in der Nordischen Küche

 

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