DADA

 

Der Dadaismus ist eine interdisziplinäre, kulturkritische Bewegung, die 1916 im Zürcher "Cabaret Voltaire" ihren Anfang nahm. Der Begriff "Dada" leitet sich von der französischen Kinderbezeichnung für "Steckenpferd" ab und bedeutet auf Rumänisch "ja, ja". Angeblich sind der Dichter Richard Huelsenbeck (1892-1974) und der Maler und Musiker Hugo Ball (1886-1927) beim zufälligen Blättern in einem Wörterbuch darauf gestoßen. Die beiden sich in diesem Vorgang offenbarenden Merkmale, Unsinn und Zufall, stellen bereits die wichtigsten Kennzeichen des Dadaismus dar. Die Dadaisten richteten sich gegen die in ihren Augen veralteten gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen, vor allem aber protestierten sie gegen den Krieg, dessen Sinnlosigkeit sie manifestieren wollten.


Die Kunst der Dadaisten ist eine Kunst des Nonsens, sozusagen eine Antikunst, deren Prinzipien Tristan Tzara in seinem Manifest festhielt. Im Dadaismus wurde mit dem Kunstbegriff experimentiert, Alltagsgegenstände wurden zu Kunstobjekten erklärt. Zudem verflossen die Grenzen zwischen den Kunstgattungen: Bei Bühnenauftritten wurden "bruitistische" (frz. bruit = Lärm) Konzerte, groteske Tänze und Gedichte aus inkohärent zusammengefügten und sinnlosen Wortfetzen von absurd kostümierten Menschen dargeboten. All` diese Begebenheiten sollten den Zuschauer provozieren und zur aktiven Reaktion auffordern. Für die Dadaisten war das Irrationale die einzige Hoffnung auf die gesellschaftliche Genesung: Chaos und Anarchie sollten auf Vernunft und Logik basierende Systeme ersetzen.


Die Maschine war ein Leitmotiv des Dadaismus; allerdings wird diese - anders als bei den Futuristen - nicht verherrlicht, sondern als Symbol für die missratene gesellschaftliche Situation hinzugezogen. Der Kern der Strömung strahlte von Zürich bald nach ganz Europa und sogar in die Vereinigten Staaten aus, unterscheidet sich aber in den jeweiligen Schwerpunkten. Wichtige Künstler des Dadaismus sind Hans Arp, Johannes Baader, Hugo Ball, Marcel Duchamp, Max Ernst, Hannah Höch, Francis Picabia, Kurt Schwitters und Tristan Tzara.

 

110 Jahre Dadaismus

 

Mit absurden Versen und fragmentierten Bildern wollten die Dadaisten den Geist des Militarismus des Ersten Weltkrieges vertreiben. Die in Berlin und Paris, Köln und Hannover aktive Dada-Bewegung wurde in Zürich gegründet. Das Cabaret Voltaire, eine ärmliche Künstlerkneipe, wurde heute vor 110 Jahren am 5. Februar 1916 eröffnet.

 

„Die Schlacht ist unser Freudenhaus.
Von Blut ist unsere Sonne.
Tod ist unserer Zeichen und Losungswort.“
 
Emmy Hennings sang das Gedicht von Hugo Ball bei jeder Vorstellung des Cabaret Voltaire in morbider Theatralik zu der schmissigen Melodie des Durchhalte-Liedes „So leben wir“. Balls Version prangerte das sinnlose Morden des Ersten Weltkriegs an, aber auch den blinden Gehorsam der deutschen Soldaten. Der Pazifist hatte den Text sogar auf Karten drucken lassen, die er auf den Tischen auslegte. Das Cabaret Voltaire sollte ein Treffpunkt für Gleichgesinnte sein, für Künstler und Intellektuelle. Jeder war eingeladen, etwas zum Programm beizutragen.
 
Cabaret Voltaire, ein Treffpunkt für Intellektuelle, Künstler und Pazifisten
 
Nach dem Eröffnungsabend am 5. Februar 1916 notierte Ball: „Das Lokal war überfüllt; viele konnten keinen Platz mehr finden. Gegen sechs Uhr abends, als man noch fleißig hämmerte und futuristische Plakate anbrachte, erschien eine orientalisch aussehende Deputation von vier Männlein, Mappen und Bilder unter dem Arm; vielmals diskret sich verbeugend. Es stellten sich vor: Marcel Janco, der Maler, Tristan Tzara, Georges Janco und ein vierter Herr, dessen Name mir entging. Arp war zufällig auch da, und man verständigte sich ohne viel Worte.“
Wenige Tage später kam Richard Huelsenbeck aus Berlin dazu – auf der Flucht vor dem drohenden Einberufungsbefehl. Er rezitierte Texte und schlug dazu die Trommel. Der Bildhauer Hans Arp erinnerte sich:
„Das Publikum um uns schreit, lacht und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wir antworten darauf mit Liebesseufzern, mit Rülpsen, mit Gedichten. Huelsenbeck schlägt unaufhörlich die Pauke, während Ball kreideweiß wie ein gediegenes Gespenst, ihn am Klavier begleitet.“
 
Dadaismus – geistiger gemeinsamer Aufbruch zu etwas Neuem
 
Hugo Ball: „... Ein undefinierbarer Rausch hat sich aller bemächtigt. Das kleine Kabarett droht aus den Fugen zu gehen und wird zum Tummelplatz Verrückter.“
 
Der Endhemmung folgte die gedankliche Arbeit: die Proklamation einer neuen Kunstrichtung. Dada genannt. Indem man Dada sagte, sollte alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte und Gezierte verschwinden, postulierte Ball. Huelsenbeck betonte, dass die Erfindung von Dada nicht die Leistung eines einzelnen war, sondern die einer Gruppe.
Richard Huelsenbeck: „Die Gemeinsamkeit, die Intensität dieses geistigen Wollens der paar Menschen, die damals im Cabaret Voltaire zusammen waren, entwickelte sich dann später zu dem, was wir Dadaismus nannten. Nur die Intensität, die Zusammenarbeit, die es fast ermöglichte, den einen durch den anderen zu ersetzen, machte es möglich, diese Bewegung zu gründen. Es war eben nicht mehr ein atomisiertes individuelles Leben, das wir führten, sondern es war der gemeinsame Aufbruch zu etwas Neuem, der durch diese Art oder diese Worte Hugo Balls charakterisiert wurde.“
 
Antikunst und symbolische Destruktion – Zerlegung der Worte zu Klangsilben
 
Die im Cabaret Voltaire vorgetragenen Gedichte, Texte und Lieder sammelte Ball in einer Zeitschrift und mit Tristan Tzara gründete er im März die Dada-Galerie. Es folgten Dada-Soireen an verschiedenen Orten in Zürich. Nach fünf Monaten gab Ball das kräftezehrende Cabaret Voltaire auf und wenig später auch Dada. Zu seinen letzten Beiträgen gehörten seine Lautgedichte, die er im „kubistischen Kostüm“ zelebrierte. Nachdem die Dadaisten den Sinn der Worte ins Absurde getrieben hatten, zerlegte Hugo Ball nun auch noch die Worte in einzelne Silben. Was blieb, war der Klang.
 
Hugo Ball: „Gadji beri bimba, ...“
 
Dada Zürich war nach einem halben Jahr fieberhafter Aktivität in Auflösung begriffen, erlebte jedoch nach Kriegsende eine erneute Blüte. Tzara und Janco brachten Dada nach Paris, Hans Arp ging nach Köln, und Huelsenbeck kehrte nach Berlin zurück, wo er mit Künstlern wie George Grosz, John Heartfield, Raoul Hausmann und Hannah Höch die Dada-Bewegung erneuerte. Auf ihren Soireen verhöhnten sie weiterhin den Militarismus und die Doppelmoral des Bürgertums. Sie schufen dabei etwas, was im Cabaret Voltaire bereits angelegt war: eine Anti-Kunst, die nicht als Stil auftrat, sondern als symbolische Destruktion.
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