GEISTERSCHIFFE
MADE ON FÖHR
Geschichten über Geisterschiffe wie die "Mary Celeste" sind so alt wie die Seefahrt - und immer schipperten die spukenden Kähne an der Grenze zwischen Seemannsgarn und Realität entlang. Schon im siebzehnten Jahrhundert machte die Sage vom "Fliegenden Holländer" die Runde. Darin verfluchte ein Kapitän erst den Sturm am Kap der Guten Hoffnung und dann auch noch Gott und die Welt. Zur Strafe für die Gotteslästerung musste der Kapitän bis in alle Ewigkeit über die Meere fahren - verdammt! Sogar der englische König George sichtete den "Fliegenden Holländer" und dessen blutige Segel angeblich. Richard Wagner machte eine Oper draus.
Die Arbeiten von KUNSTEINS sind natürlich keine Geisterschiffe. Sie treiben nicht führerlos über die Ozeane sondern erregen die Aufmerksamkeit über die menschlichen Augen. Die Schiffe sind gefaltete Arbeiten aus Kunstkatalogen und Kunstzeitschriften, die gescannt und anschließend auf Künstlerbütten ausgedruckt werden, bevor sie weiterer künstlerischer Transfomation mittels Tusche, Aquarell, Lackstiften und Acrylfarbe unterzogen werden. Anschließend findet eine finale Fixierung statt. Das "Geisterschiff" ist dann schließlich fertig, um auf 5m² über die Weltmeere zu treiben.Und das mit einem besonderen Namen Zumindest aus der Sicht der Kunst. Sie heißen MS Solidarität, MS Nachbarschaft, MS Menschlichkeit, MS Toleranz, MS Vielfalt, MS Respekt und MS Stressfrei oder MS Feindbild, MS Vorurteil etc.
„Geisterschiffe - Made on Föhr“:
Der Künstler Andreas Petzold aus Nieblum hat das ehemalige W.D.R.-Flaggenhäuschen am Fährhafen in Wyk in einen winzigen Pop-Art-Ausstellungsraum verwandelt. Was dahintersteckt.
Julia Sassenberg IB/SHZ 09.09.2025
Das alte Flaggenhäuschen der Wyker Dampfschiffs-Reederei W.D.R. am Fährhafen in Wyk wird schnell übersehen. Es ist nur ein schmuckloser Backsteinbau mit vermoosten Dachziegeln. Doch wer einen Blick durch die Fenster wagt, findet sich in einer anderen Welt wieder: Unzählige bunte Papierschiffchen baumeln in verschiedenen Höhen an zarten Nylonfäden, bewegt durch einen leichten Luftzug, der nie ganz aufhört, obwohl die Tür verschlossen ist und man nur von außen hineinsehen kann. Es ist keine herkömmliche Kunstinstallation oder gar Ausstellung, kein Schild weist darauf hin. Wer vorbeikommt, tut das meist zufällig - und genau so ist es gewollt. Das Projekt heißt „Geisterschiffe - Made on Föhr“. Inspiriert wurde Schöpfer Andreas Petzold (74) von sagenumwobenen Geisterschiffen wie der „Mary Celeste“ oder dem „Fliegenden Holländer.“
Maritimer Mikrokosmos aus Papier und Nylon
Je nach Sonnenstand und Lichteinfall ergeben sich beim Blick ins Flaggenhäuschen neue Eindrücke, egal wohin man schaut. Jedes Schiffchen ist einzigartig, gefaltet aus bunten Seiten von Kunstkatalogen und Zeitschriften. 500 kleine Unikate hat Andreas Petzold im vergangenen Jahr so erschaffen. Manche von ihnen hat er digitalisiert, auf hochwertigem Büttenpapier ausgedruckt und dann weiter mit Aquarell- und Lackfarben zu Bildern und edlen Postkarten verarbeitet. Ausgesuchte Exemplare hängen nun im Flaggenhäuschen gerahmt an der Wand, natürlich mit reichlich (Aquarell-)Wasser unterm Kiel.
Wer sich auf das Experiment einlässt und durch eines der Fenster ins Häuschen schaut, taucht ein in einen maritimen Pop-Art-Mikrokosmos, in dem der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Es ist leicht, sich vorzustellen, wie die Schiffchen in dreidimensionalem Raum auf fünf Quadratmetern „Weltmeeren“ umhersegeln. Der Beobachter wird für einige Momente wieder zum Kind.
Fantasie und Realität verschmolzen: Beim Blick ins Innere des W.D.R.-Flaggenhäuschens erlebt man durch die Spiegelungen der Außenwelt erstaunliche Effekte.
Foto: Copyright "Julia Sassenberg/SHZ"
„Das Flaggenhäuschen ist ein Überraschungspaket“, erklärt Andreas Petzold. „Ein Guckkasten, ein Raum, in dem irgendwas passiert, und man weiß nie genau was.“ Das ist, was den Wahl-Föhrer reizt, der seit 2019 sein Atelier KUNSTEINS in Nieblum betreibt. „Dieser Raum ist Teil eines Konzepts, das ich verfolge, mit kreativen Projekten Menschen zum aktiven Hinschauen zu bewegen und auch zu irritieren.“
Die Ur-Idee ist für Petzold das Überraschungselement. Denn wer überrascht ist, gerät ins Staunen. „Ich freue mich, wenn Besucher beim Reinschauen in diesen Guckkasten sich für einen Moment darauf einlassen. Vielleicht sogar etwas Kindliches, Spielerisches in sich wiederentdecken. Wenn sie die Idee witzig finden oder überlegen, was das eigentlich soll. Das ist eine Art von Kommunikation und Teil des künstlerischen Prozesses hinter diesem Projekt. Es geht nicht um die Frage, ob das hier Kunst ist. Es geht darum: Was sehe ich?“
Thomas Walter aus Leimen ist nur zufällig vorbeigekommen und hat die „Geisterschiffe“ entdeckt - genauso wünscht sich Künstler Andreas Petzold die Interaktion mit Besuchern.
Andreas Petzold, auch bekannt unter seinem Kürzel PAN, sagt von sich selbst, er habe eigentlich gar keine Ahnung von Kunst - obwohl er unter anderem studierter Kunstwissenschaftler ist. Dennoch ist Theorie nicht sein Ding. „Ich mache einfach“, zwinkert er. Er liebt Pop-Art und ist von der künstlerischen Geisteshaltung der FLUXUS-Bewegung beeinflusst, die einen fließenden Übergang von Kunst und Leben verfolgt, gleichzeitig aber auch immer Vergänglichkeit thematisiert.
„Es geht nicht um die Frage, ob das hier Kunst ist. Es geht darum: Was sehe ich?“
Andreas Petzold
Künstler, Atelier KUNSTEINS
Petzold sprudelt über vor Ideen. Inspiration findet er auf Föhr hinter jedem Büschel Dünengras. „Es reicht ein besonderer Farbton oder ein flüchtiger Sinneseindruck von irgendwas, und die Idee ist da. Die schreibe ich mir dann auf. Leider sind es zu viele Ideen, ich werde niemals alle umsetzen können.“
Was kommt nach den Geisterschiffen ins Flaggenhäuschen? „Krabben!“, strahlt der Künstler. „Im Herbst.“ Mehr wird nicht verraten...
Foto: Copyright "Julia Sassenberg/SHZ"