>SEEMANNSGARN<
Seemannsgarn ist in erster Linie erst einmal nichts anderes als Garn, das sich die Seeleute aus Tauen zogen, um Garn zu spinnen, dass für Reparaturen an Leinen, Tuch und Trossen verwendet wurde. Dieses Handwerk machte man so nebenbei bei schönem Wetter und erzählte sich dabei Geschichten, in denen oftmals die Wahrheit ein wenig ausgeschmückt wurde. Man erzählten das, was man auf See und seinen Reisen erlebt hatte und worüber man sich Gedanken machte. Dazu gehörten natürlich auch Sagen, Schwänke und mythische Erzählungen. Auf diese Weise bekam Schiemannsgarn oder Seemannsgarn spinnen mit der Zeit eine Bedeutung. Mit zunehmenden und veränderten Arbeitsbedingungen wurde das Garnen mechanisiert oder abgeschafft. Das Erzählen wurde Hauptsache, die Arbeit des Garnens Nebensache, bis man das Erzählen allein so bezeichnete.
In jüngerer Zeit ersetzte Seemannsgarn spinnen oder kurz Garn spinnen die alte Redewendung, und unter echtem Seemannsgarn versteht man heutzutage jene Erlebnisberichte von Seeleuten im Grenzbereich zwischen Wahrheit und Phantasie, die alle etwas undurchsichtig, dafür aber glaubhaft und eindrucksvoll sind. Wie meine leuchtenden Plantonteilchen. Der Zuhörer weiß nie genau, ob er auf den Arm genommen wird oder nicht. Oft wird der Wahrheit so viel hinzugedichtet, dass aus einem kleinen Fisch plötzlich ein Monsterhai oder eine Riesenkraken wird, die ganze Schiffe ins Verderben ziehen.
Echt waren auch in früheren Zeiten, aus der dieser Begriff abgeleitet wird, die Umstände, aus denen der Glaube und der Aberglaube auf See gedeihen konnten. Man muss sich nur einmal die beengten Lebensverhältnisse im 18.Jhrht an Bord eines Schiffes vor Augen führen. Sehr oft waren 200 bis 300 Seemänner auf einem Schiff mit einer Länge von 40 Metern zusammengepfercht, auf dem sie mehrere Monate die endlosen Weiten der Ozeane durchkreuzten. Dem Mythos Kolumbus, in seiner Darstellung, habe ich noch nie getraut, dann eher schon Russel Crow in „Master and Commander“, wo´s richtig hergeht und selbst der nimmermüde Marlon Brando auf der Bounty hätte dabei noch etwas Seemanngarn dazu spinnen können. Aber mal ehrlich unzumutbare hygienische Bedingungen, tropische Krankheiten und schlechte Ernährung wie madiges Pökelfleisch und verfaultes Wasser (daraus läßt sich Labskaus machen!), schufen eine psychisch angespannte und hochexplosive Stimmung zwischen den Männern. Dazu waren sie auf ihren langen Reisen häufig Stürmen und den Gefahren des Meeres ausgesetzt. Matrosen verloren oben im Mast den Halt und stürzten aufs Deck oder gingen bei Unwetter über Bord und ertranken - das Sterben gehörte viele Jahrhunderte zum Alltag auf See. Da sitzen wir mit unseren 25 Mann an Bord eines Containerschiffes und genießen unseren Feierabend in klimatisierten Kammern, den Kühlschrank zwar nur mit Becks und Schokolade gefüllt, aber immerhin.
In diesem Klima der Angst und des Dauerstresses, immer dem Tod „ins Auge zu schauen“ ist es nicht verwunderlich, dass Menschen aus religiöser oder bildungsferner Sicht jedwede Form von Aberglauben akzeptierten. Dabei sogen leichtgläubige Besatzungen Geschichten und Sagen von Geisterschiffen, Kobolden und Seeungeheuern förmlich auf. Ein bei Seefahrern weit verbreiteter Aberglaube ist der vom Klabautermann, einem guten Schiffsgeist, der, obwohl er unsichtbar ist, auf jedem Segelschiff mitfährt: Der Klabautermann sah auf einem Schiff nach dem Rechten.
Des Nachts ging er mit seinem Hammer umher und klopfte Planken, Wände und Zwischendecks ab, um verfaultes Holz und undichte Stellen zu finden. So zeigte er dem Bordzimmermann, (die Operette Zar und Zimmerman vielleicht?) was zu reparieren war. Polterte es im Laderaum, wussten die Seemänner, dass der kleine bärtige Kobold die verrutschte Fracht umstaute und sicherte. Unheimlich war der Schiffsgeist den Seeleuten allemal. Denn wenn man den Klabautermann zu Gesicht bekam, drohte dem Schiff und der Besatzung großes Unglück. Es war das sichere Zeichen dafür, dass das Schiff bald untergehen würde, da der Klabautermann sich nochmals als letzte Warnung zeigte, bevor er das Schiff verließ. Der farbige Klabautermann aus dem Atelier KUNSTEINS allerdings bleibt an Bord, um die Geschichte weiter zu spinnen. Oder? Demnächst im alten WDR-Flaggenhäuschen!