DON´T EAT ART

Lebensmittel sind die organische Grundlage unserer Existenz und damit die Basis unserer Kultur. D. h., dass im Rahmen dieser kulturellen Identität auch Künstler sich des Themas unter dem Begriff Eat Art zu eigen gemacht haben. Der Begriff Eat Art (engl. Ess-Kunst) wurde von dem Künstler Daniel Spoerri für eine Richtung der zeitgenössischen Kunst geprägt, die der Objektkunst und dem Nouveau Réalisme zuzuordnen ist. Als Vorläufer gilt, obgleich sie völlig andere ideologische Ansätze hatte, die 1930 von mehreren italienischen Vertretern des Futurismus begründete Cucina Futurista. Sie erklärten, ähnlich wie später Spoerri, öffentliche Festessen zu Kunstwerken.

 

Wie kaum eine andere künstlerische Kategorie der bildenden Kunst erweitert gerade die Koch-Kunst unseren sinnlichen Wahrnehmungshorizont, indem sie uns direkt mit allen, insbesondere den gustatorischen Sinnen konfrontiert. Aus diesem Grund haben sich Künstler, Köche und Künstlerköche dieser Thematik gewidmet, wobei die Eat Art sich nicht allein der Kunst der Feinschmeckerei widmet, sondern auch viele andere Facetten erarbeitet und sichtbar macht, was wir tagtäglich als Notwendigkeit unseres kulinarischen Handeln sehen – nämlich das Essen. Individuelle Vorlieben und Abneigungen, gesellschaftliche Codes, intime Momente, küchentechnische Experimente und öffentliche Repräsentation sind nur einige der Partituren, die die Koch-Kunst spielen kann.

Sehr früh haben die Japaner mit der kunstvollen Tischdekoration, insbesondere mit Gemüsearrangements, begonnen. Auch in diesem Jahrhundert haben viele Künstler Esswaren bei der Umsetzung ihrer Idee verwendet. Daniel Spoerri, Christo, Richard Lindner, Salvador Dali oder Joseph Beuys u.a.! Ich habe schon immer in einem Teil meiner künstlerischen Arbeit Essen und Trinken sowie das Ambiente von Hotels und Restaurants mit einbezogen. Für mich ist die Herstellung und das Genießen einer Mahlzeit ein ähnlicher Prozess, wie das Herstellen und Genießen eines Kunstwerkes. Doch die Tafelkunst und die Tafelbilder gehen bei mir oft einen anderen künstlerischen Weg, wie das letzte Projekt  satt - kochen_essen_reden zu www.tatorte-kunst.de gezeigt hat. Sie hierzu auch Fotos und PDF-Texte direkt unter diesem Textfeld.

 

Unter der Bildergalerie zur Eat-Art-Aktion "satt kochen_essen_reden" gibt es noch einige Texte, die das Konzept in den Kontext setzen.

Presseerklärung.pdf
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Von der Kunst ein Risotto.pdf
PDF-Dokument [424.3 KB]
Küche und Kunst ohne Anhang.pdf
PDF-Dokument [493.2 KB]
satt A4.pdf
PDF-Dokument [202.0 KB]
EAT ART.pdf
PDF-Dokument [118.5 KB]

Lange Nacht der Museen in Koblenz

Menü für Joseph und Maria

Joseph Beuys
I a gebratene Fischgräte (Hering), 1970
Objekt
Fischgräte auf Pergamentpapier in verglastem Holzkasten
H. 30 cm x B. 11 cm x T. 6 cm

Joseph Beuys zeigt mit Ia gebratene Fischgräte (Hering) von 1970 eine Fischgräte auf einem bestempelten, beschrifteten und leicht fettigen Blatt Pergamentpapier in einem verglasten Holzkasten.

Bei dieser Arbeit kann die Wirkung des Multiples nicht von seiner Geschichte als Aktionsrelikt getrennt werden. Kurz vor Allerheiligen, am 30.10.1970, veranstaltetete Joseph Beuys in der Düsseldorfer Eat-Art-Galerie von Daniel Spoerri die Aktion "Freitagsobjekt: l a gebratene Fischgräte". Beuys hängte gebratene Gräten, die er von zuhause mitgebracht hatte, an Bindfäden unter die Decke der Galerie. Dann begann er, auf einem Tisch die Unterlegeblätter für die Gräten zu beschriften und zu bestempeln. Bis zum Ende der Aktion am späten Abend stand Beuys, in langem Mantel und auf einen Stock gestützt, mit aschegeschwärztem Gesicht in einer Ecke der Galerie.

Die Aktion verband heidnische und christliche Assoziationsfelder. Sie spielte bewusst auf den Karfreitag, Tag des Abendmahls, aber auch auf Freya, Göttin der nordischen Mythologie und Namensgeberin dieses Tages, an. Der Verweis auf den heidnischen "Freitag" in Defoes "Robinson Crusoe" war ebenfalls angelegt. Beuys' Rolle in der Aktion kann als Wanderer, Hirte, Heide oder Fremder gesehen werden – Unrast und Armut stehen im Mittelpunkt. Der Fisch als Christussymbol ist in seiner allen Fleisches beraubten Gestalt der Gräte auf das Wesentliche reduziert. So fordert Beuys auf, das Essentielle, das Rückgrat des christlichen Glaubens zu bewahren und zu bedenken. Messianisch mutet auch die Nähe des Aktionskonzepts zum "Wunder der Speisung der 5000" an.

Seine psychologische Eindringlichkeit verdankt dieses Multiple der Thematisierung oraler Vorgänge. Beuys konfrontiert den hausbacken werbenden Titel des Objekts mit einem Produkt, das gemeinhin als ungenießbar gilt, ja bitterste Armut evoziert. "Eigentlich ist das zugleich ein Hinweis darauf, dass im Grunde keiner zu verhungern braucht; denn es ist ja fast alles essbar, was hier in der Umgebung ist." Diesen bescheidenen Nahrungsanprüchen stellt Beuys einen hohen Bedarf an geistiger Nahrung entgegen. Griffig hat Beuys dies nochmals 1973 formuliert, als er ein Titelblatt der Zeitschrift "essen & trinken" mit dem Zusatz "geistig verhungern" versah (Schellmann Nr.67). Darum geht es auch hier: Wenn nötig, kann der Mensch von sehr wenig leben. Er kann Unbehaustsein hinnehmen, auch Hunger und Mangel, aber auf geistige Nahrung kann er nicht verzichten.

Als Beuys 1970 mit seiner Aktion und dem Multiple den allen Menschen zustehenden Anspruch auf Geistesnahrung anmeldete, befand sich die Bundesrepublik immer noch im Fresstaumel des Wirtschaftswunders, der vor allem quantitatives Verlangen stillte. Dagegen stellte Beuys mit der Aktion und dem Multiple sein Gegenbild: Er mahnte mit l a gebratene Fischgräte (Hering) die Einlösung der Werte einer solidarischen Gesellschaft an und forderte die Menschen auf, ihren geistigen Ernährungszustand nicht zu vernachlässigen.

Lange Nacht der Kirchen

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